Hier nun das ungekürzte Interview mit ntv über ACTA, Entwicklungspolitik und die CSU im Netz.
Sie haben bereits im Februar gefordert, das Anti-Piraterie-Abkommen “ACTA ad acta” zu legen. Im gleichen Beitrag auf Ihrer Webseite haben Sie damals gesagt “Geistiges Eigentum ist ein hohes Gut”. Wie passt das zusammen?
Ich finde dies passt gut zusammen! Es steht außer Frage, dass wir bei der Produkt- und Markenpiraterie neue Regelungen benötigen, die zum einen den aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die Digitalisierung der Bevölkerung und zum anderen der immer weiter fortschreitenden globalen Vernetzung Rechnung tragen. Aber der vorliegende Entwurf scheint mir nicht der richtige Weg zu sein, um die dringend benötigte Rechtssicherheit und auch einen dauerhaften Rechtsfrieden zu erreichen. Die hitzige und ideologische Debatte rund um eine Reform des Urheberrechts in Deutschland zeigt zudem, dass alle, die jetzt nach mehr Beteiligung rufen, auch bereit sein müssen Abstriche zu machen. Aber die Rechtsunsicherheit für große Teile der Bevölkerung im Netz muss ein Ende haben. Gleichzeitig muss geklärt werden, was im Internet legal sein soll und was nicht! Auch wenn ACTA verhindert werden kann, ändert dies nichts daran, dass wir international einen Rechtsrahmen für die Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie schaffen müssen, denn geistiges Eigentum ist ein hohes Gut.
Sie haben Kritik geäußert am Zustandekommen des Vertragsentwurfes. Halten Sie an dieser Kritik fest?
Ich bin keine Person, die gerne provoziert. Deshalb bemühe ich mich in Debatten auch einen sachlichen Ton zu bringen. Über ACTA wurde viel Wahres geschrieben, aber auch viele Mythen verbreitet. Der Vorwurf, ACTA sei im Geheimen und wenig transparent ausgehandelt worden, ist teilweise schwierig. Denn natürlich werden völkerrechtliche Verträge oft zunächst einmal in Expertenkreisen und in kleiner Runde diskutiert. ACTA unterscheidet sich hier nicht von anderen internationalen Verträgen. Gerade bei völkerrechtlichen Verträgen erfolgt eine parlamentarische Kontrolle im Nachgang. Allerdings muss dies im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass künftig völkerrechtliche Verträge nicht transparenter gestaltet werden können.
Die Zeit der Hinterzimmer-Deals ist vorbei und die weltweit große Aufmerksamkeit für ACTA zeigt, dass Menschen Interesse haben, sich in den politischen Prozess einzubringen und dass das Internet hier auch neue Möglichkeiten bietet. Ich bin aber auch Realistin und mir ist klar, dass die Weltbevölkerung gemeinsam nicht an einem einzigen Pad arbeiten kann und dann ein sinnvoller völkerrechtlicher Vertrag herauskommt. Viele Passagen in dem Vertragswerk sind – ob bewusst oder unbewusst – unklar formuliert. Befürworter von ACTA sehen darin die Ungefährlichkeit des Abkommens: die Gesetzgebung obliegt immer noch dem jeweiligen Staat und so kann und soll ACTA nur als Leitvorlage und Mindeststandard dienen. Kritiker befürchten hingegen, dass unscharfe Formulierungen auf konkrete Bereiche ausgedehnt werden könnten und so die Privatsphäre einzelner Bürger beschneiden könnten. Es wurde auch keine verlässliche Folgenabschätzung der Vertragsinhalte für Entwicklungsländer vorgenommen. Diese Formulierungsunschärfe ist es auch, die die Folgen des Abkommens schwer abschätzbar macht.
Sie sind zwar keine ausgesprochene Netzpolitikerin, sind aber im Netz sehr aktiv – unter anderem auf Twitter. Befürchten Sie Einschränkungen für die Informationsfreiheit bzw. die Freiheit des Netzes, wenn ACTA umgesetzt wird?
Es stimmt, dass ich keine originäre Netzpolitikerin oder ein Digital Native bin. Aber ich finde meinen Weg – step by step. Dabei begreife ich die Netzpolitik nicht als abtrennbares Thema, welches ausschließlich von Kollegen unter 30 Jahren betrieben werden kann. Ich verstehe die Netzpolitik als klassisches Querschnittsthema, das mit sehr vielen anderen Gebieten eng verwoben ist und so habe ich mich entschlossen, Netz-Thematiken als ganz normale Säule meiner politischen Arbeit zu betrachten. Als Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe ich nun ACTA aus entwicklungspolitischer Sicht analysiert. Darüber hinaus beschäftige ich mich derzeit auch mit dem Thema Digitalisierung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ein sehr spannendes Thema, das erst ganz am Anfang seiner Entwicklung steht. Ich arbeite derzeit aber auch an eigenen netzpolitischen Vorschlägen. Hierzu werden Sie in den kommenden Wochen mehr erfahren. 4. Sie haben beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags ein Gutachten in Auftrag gegeben, ACTA speziell hinsichtlich seiner Auswirkungen für Entwicklungsländer zu überprüfen – welches, wie Sie schreiben, nun vorliegt, allerdings noch nicht veröffentlicht ist.
Wann ist mit einer Veröffentlichung zu rechnen? Und: Können Sie uns die wichtigsten Ergebnisse nennen?
Leider können wir das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zu den Auswirkungen von ACTA auf Entwicklungsländer nicht veröffentlichen. Ich habe dies zwar beantragt, aber dem wurde bis jetzt nicht stattgegeben. Dahinter steckt aber keine Verschwörung oder ähnliches, denn die Bundestagsverwaltung ist unabhängig und ein Gutachten spiegelt auch immer nur die Meinung des einzelnen Autoren wider und nicht die des Bundestags. Das Gutachten hat aber meine Bedenken hinsichtlich ACTA bestätigt, ohne weitergehende neue Erkenntnisse zu liefern. Erstes waren Entwicklungsländer von den Verhandlungen weitestgehend ausgeschlossen. Auch wenn die Entwicklungsländer zunächst nicht gezwungen sind, dem Abkommen beizutreten und auch wenn ACTA als völkerrechtlicher Vertrag keine Drittwirkung entfalten kann, so könnte ACTA dennoch Auswirkungen auf Entwicklungsländer haben.
Zweitens wenn ACTA auf Handelsgüter im Transit angewandt wird, könnte dies dazu führen, dass Güter beschlagnahmt werden, obwohl sie weder im Ursprungsland noch im Zielland von den ACTA-Regeln betroffen sind. Wenn Generika davon betroffen sind, erhalten Millionen von Menschen nicht mehr die lebensnotwendigen Medikamente beispielsweise gegen HIV/Aids.
Und nicht zuletzt unterstreicht das Gutachten die Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von ACTA auf Saatgut. Einige wenige internationale Saatgut-Unternehmen kontrollieren mit Lizenz-Systemen den internationalen Handel von „geistigem Eigentum und natürlichen Ressourcen“. Die Lebensgrundlage der Bauern in Entwicklungsländern würde wegfallen, denn sie können keine Lizenzgebühren für patentiertes Saatgut aufbringen. Auf meiner Homepage kann man die Ergebnisse meiner Recherche ausführlich nachlesen.
Der von Ihnen angesprochene Zugang zu Medikamenten und die agrarpolitischen Probleme bestehen ja bereits jetzt, ohne ACTA. Was kann getan werden, um die Situation der ärmeren Länder zu verbessern?
Eine Beteiligung aller Länder – auch der Entwicklungsländer – mag die Verhandlungen zwar schwieriger gestalten, kann aber auch zu dauerhafteren Lösungen führen. Es ist wichtig, dass wir Initiativen in der Entwicklungszusammenarbeit koordinieren und auf einander abstimmen. Wenn es nun zu neuen Beratungen bei ACTA kommen sollte oder gar zu einem neuen Abkommen, brauchen wir eine verlässliche Folgenabschätzung der Vertragsinhalte für Entwicklungsländer und wir müssen gemeinsam einen Weg finden. Alle Betroffenen von einem solchen Abkommen – Politik, Wirtschaft , Zivilgesellschaft und eben auch Entwicklungsländer – sollten gemeinsam auf der Basis ihrer jeweiligen Expertise – ein nachhaltiges Abkommen entwickeln, das zu einem fairen Interessenausgleich führt.
Ihre Partei und ihre Fraktion sind Befürworter von ACTA – und ganz allgemein von mehr Überwachung und stärkerem Schutz von Urheberrechten. Sind Sie für Ihre Position kritisiert worden? Fühlen Sie sich bei diesem Thema in ihrer Partei isoliert?
Ich stehe in meiner Partei keineswegs alleine da. Beispielsweise unterstützen mich meine Kollegen aus dem cnetz. Und im Ergebnis, dass wir eine internationale Regelung gegen Produkt- und Markenpiraterie benötigen, unterscheide ich mich auch nicht von meiner Fraktion. Ich hinterfrage aber kritisch, ob der eingeschlagene Weg mit ACTA zielführend ist und eine langfristige Lösung bieten kann. Volksparteien wie CDU und CSU vertragen auch Meinungsvielfalt.
Frau Wöhrl, Sie sind Gründungsmitglied des neuen Unions-nahen netzpolitischen Vereins “cnetz” und sollen angeblich im Auftrag der Parteiführung in den nächsten Wochen das Gespräch mit Vertretern der Piraten suchen, um “Gemeinsamkeiten und Unterschiede” herauszufinden. Nimmt die CSU nun Abschied von der Lederhose und knöpft sich ernsthaft den Laptop vor? Oder bleibt es beim Spagat zwischen Tradition und Moderne?
Wir behalten Lederhose und Laptop und packen noch ein Smart Phone dazu – und gestalten weiterhin die Zukunft. Es hat nie geschadet zu wissen, woher man kommt. Noch besser ist es zu wissen, wohin man will. Ohne Visionen kann Politik nicht funktionieren. Und zu unserer Selbstüberzeugung zählt schon immer, dass die CSU eine Partei für alle Menschen und alle Themengebiete ist. Deshalb ist die CSU auch im Netz „dahoam“.
n-tv Donnerstag, 26. April 2012
“Zeit der Hinterzimmer-Deals” CSU-Expertin kritisiert ACTA
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