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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Interview: Afrika ist bunt, vielseitig, widersprüchlich und voller Kontraste

Die Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl unterstützt nicht nur als Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Kontinent Afrika. Mit der Emanuel Stiftung hilft sie Kindern auf der ganzen Welt.

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) ist in der laufenden 17. Wahlperiode Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im mitmischen.de-Interview sprach sie über die Auswirkungen der Fußball-WM auf Afrika, den Sinn der Entwicklungshilfe, die gesundheitlichen Probleme auf dem Kontinent und ihre persönlichen Eindrücke von Afrika.

2010.09.02-DW-Interview-Mitmischen

mitmischen.de: Die Fußball-WM ist vorbei und die Ü-Wagen sind wieder weg. Im Vorfeld sprachen viele Menschen davon, dass dieses große Ereignis eine Chance für Südafrika sei, wenn nicht sogar für den gesamten Kontinent Afrika. Hat sich das bewahrheitet?

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Vor der WM habe ich die Frage nach den Chancen der FIFA-Fußballweltmeisterschaft für den Kontinent Afrika mit Vertreter und Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) diskutiert. Ich war selber überrascht: Die NGOs knüpften keine allzu großen Erwartungen für den afrikanischen Kontinent an die Fußballweltmeisterschaft.

Die Menschen in den kleinen Dörfern irgendwo in Burundi oder im Niger haben wenig von der WM mitbekommen. Die Konflikte im Sudan, in Somalia und zwischen Äthiopien und Eritrea konnten durch die Weltmeisterschaft nicht beendet werden. Und doch: Diese Weltmeisterschaft hat den Fokus der weltweiten Öffentlichkeit auf einen vergessenen Kontinent gesetzt. Zudem sollte und hat die Weltmeisterschaft Vorurteile abgebaut, wie dies vor vier Jahren auch in Deutschland geglückt ist. Natürlich war die Weltmeisterschaft kein Wundermittel, aber sie hat die Afrikaner untereinander und die Afrikaner mit dem Rest der Welt verbunden.

Als Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben Sie sich nicht nur zur Fußball-WM mit Afrika befasst. Welche Afrika-Themen behandelt der Ausschuss aktuell?

Wir befassen uns in unserer Arbeit täglich mit Afrika – sei es direkt oder indirekt. Meistens geht es um die Probleme einzelner Staaten Afrikas. Oft aber auch um grenzüberschreitende Themen, wie die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, Landraub oder Ressourcenknappheit. Der Kontinent wird von außen als einheitlicher Block betrachtet, was ihm aber keinesfalls gerecht wird. Er ist bunt, vielseitig, widersprüchlich und voller Kontraste.

Im Bereich der Entwicklungspolitik haben wir derzeit mit vielen Krisen parallel zu kämpfen: Wir haben eine Wirtschaftskrise, eine Finanzkrise, eine Welternährungskrise, eine Energie- und Rohstoffkrise, die “Krise” des Weltklimas und einer wachsenden Zahl unvorhersehbarer Naturkatastrophen. Sie sehen, die Liste ist lang. Davon dürfen wir uns aber nicht entmutigen lassen, sondern wir müssen die Probleme klug angehen. Persönlich werde ich mich besonders für die Verbesserung der Bedingungen eines fairen Welthandels einsetzen.

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen gehen den Entwicklungsländern derzeit jährlich rund 700 Milliarden US-Dollar aufgrund unfairer Handelsbedingungen verloren – das Sechsfache der gesamten Entwicklungsmittel. Diese Mittel können die Geberstaaten nicht ausschließlich aus ihren Staatshaushalten hervorbringen. Wir müssen die internationalen Rahmenbedingungen so strukturieren, dass beispielsweise Handelsbarrieren und handelsverzerrende Maßnahmen (Stichwort “Agrarexportsubventionen”) abgebaut werden.

Bis Mitte September ist das Parlament noch in Sommerpause, während der die Abgeordneten aber auch im Hintergrund an den verschiedenen Themen arbeiten. Ab dem 11. September kommen wir dann wieder in Berlin zusammen. Gleich in der ersten Woche verhandelt das Parlament über den Bundeshaushalt 2011 und darüber, wie hoch der Anteil für Entwicklungszusammenarbeit sein wird.

Wie sieht es aus mit Ihren persönlichen Eindrücken von Reisen nach Afrika oder auch in andere Entwicklungsländer – mit welchen Eindrücken kommen Sie nach Deutschland zurück?

Ja, sehr! Mich führen schon seit vielen Jahren regelmäßig Reisen in die verschiedenen Teile Afrikas. Meine Arbeit für unsere Stiftung, die “Emanuel Stiftung“ – benannt nach unserem verstorbenen Sohn –, hat mich schon lange bevor ich Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) geworden bin, häufig nach Afrika geführt. Mit der Stiftung konnten wir wunderbarerweise bereits viele Kinder in Not unterstützen und einige Kinderheime und Schulen aufbauen.

Bei meinen Reisen nach Afrika bewegt mich immer besonders die Ungleichheit und oft schreiende Ungerechtigkeit der Lebensbedingungen der Menschen. Die herrschenden Klassen sind nicht selten durch Korruption, Vetternwirtschaft und rechenschaftsloses Vorgehen zu Status und Geld gekommen. Sie kommen leider allzu oft ihren Pflichten, beispielsweise als Politiker, nicht nach, verantwortungsvoll und menschenwürdig zu regieren und damit die Lebensbedingungen der eigenen Bevölkerung zu verbessern.

Vielen Staaten in Afrika mangelt es per se nicht am Geld, sondern an einer guten Regierungsführung. Trotzdem, oder gerade deshalb, sind die Offenheit, die Herzlichkeit und die Neugierde der Menschen auf den Straßen, in den Dörfern für Besucher aus Deutschland geradezu umwerfend. Sie und die vielen Probleme, die wir als Fachpolitiker bei unseren Reisen durch den Kontinent erkennen, spornen uns an, uns für eine gute und effektive Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen.

Stichwort Entwicklungshilfe: Viele sagen, es wird nicht genug getan – andere kritisieren die Entwicklungshilfe, weil sie abhängig macht und eigene Initiativen hemmt. Was ist Ihre Meinung?

In der Entwicklungszusammenarbeit mangelt es nicht in erster Linie an Mitteln: Die Mitglieder der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), zu denen auch Deutschland gehört, geben jährlich mehr als 100 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit aus. Die internationalen Zusagen für Entwicklungshilfe sind damit jedoch bei Weitem noch nicht erfüllt. Die EU-Staaten haben 2006 in einem Stufenplan die schrittweise Steigerung ihrer Offiziellen Entwicklungshilfe (ODA) bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) eines jeden Mitgliedsstaates geeinigt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit bedeutet aber auch, dass die Partnerländer ihrer Verantwortung gegenüber ihren Bürger und Bürgerinnen nachkommen. Dazu gehören solide staatliche Strukturen, Gesundheits- und Bildungssysteme, funktionierende Wirtschaften und verantwortungsvolles Handeln der Machthaber. Diese komplexen und langjährigen Entwicklungen unterstützen wir im Rahmen unserer Politik auf internationaler Ebene wie auch mit unserem Handeln in Deutschland. Letztlich sind hier aber die Entwicklungsländer selbst gefragt, ihre Hausaufgaben zu machen. Mit unseren entwicklungspolitischen Programmen und Projekten können wir nur Anstöße leisten; die eigentliche Entwicklung müssen die Partnerländer jedoch schon selbst leisten.

Sie sind unter anderem stellvertretendes Mitglied im Unterausschuss “Gesundheit in Entwicklungsländern”. Wie beurteilen Sie die gesundheitliche Zukunft Afrikas? Welche Chancen hat der Staat und welche Probleme sind aktuell zu bewältigen?

Am schlimmsten wüten HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria, an denen täglich fast 11.500 Menschen sterben. Fast zwei Drittel dieser Menschen leben in afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Die Mittel, mit denen sich HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria verhindern ließen, kosten nicht viel, sind wirksam und retten schon jetzt jedes Jahr das Leben von Millionen Menschen. 100 Euro im Jahr kostet eine Behandlung für einen Menschen, der mit HIV/Aids lebt (vor zehn Jahren waren es noch 7.000 Euro). Dank der erfolgreichen Bemühungen, die Preise für Medikamente zu senken, und der Einrichtung von Programmen wie dem Globalen Fonds und dem US-amerikanischen Hilfsprogramm PEPFAR (US-President’s Emergency Plan for Aids Relief) kommt die HIV-Diagnose in den ärmsten Ländern der Welt heute nicht mehr einem Todesurteil gleich.

Etwa drei Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner erhalten derzeit lebensrettende HIV/Aids-Behandlungen. 2002 waren es lediglich 50.000. Der Zugang zur Behandlung von Tuberkulose hat sich ebenfalls stark verbessert: Zwischen 1995 und 2008 wurden 36 Millionen Tuberkulose-Kranke behandelt. Der Schutz vor Malaria mit Hilfe von Moskitonetzen kostet gerade einmal sieben Euro – einschließlich Verteilung und Einweisung der Nutzer in ihre Verwendung.

Interview // Dagmar Wöhrl (CDU/CSU)
Mitmischen. Das Jugenportal des Parlaments

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