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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Wenig Wasser, viel Terror: Jemen läuft die Zeit davon

Kaum zu glauben, aber wahr: Ali Abdullah Saleh war schon Präsident im Jemen, als Dagmar Wöhrl an der Uni noch fürs Jura-Examen paukte. Heute, gut 30 Jahre später, ist er immer noch erster Mann im Staat – zumindest nach offizieller Lesart. Böse Zungen behaupten, er sei höchstens so etwas wie ein besserer Bürgermeister, da seine Macht schon kurz hinter der Hauptstadtgrenze ende.

Damit ist eines der größten Probleme im Jemen bereits treffend beschrieben: Das Sagen hat oft nicht der Staat, sondern der mit der größten Feuerkraft. Im Zweifelsfall sind das unabhängige Stammesfürsten. Was zur Folge hatte, dass Dagmar Wöhrl, inzwischen Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aus Sicherheitsgründen nicht viel von dem Land zu sehen bekam, welches die Römer wegen seiner Reichtümer noch »arabia felix«, das »glückliche Arabien«, nannten.

Frieden aus Erdöl-Geldern erkauft
»Es stimmt schon, Salehs Position wird immer schwächer«, sagt Wöhrl. Sein System des Machterhalts steht vor dem Aus: Bisher konnte er die aufbegehrenden Huthi-Fürsten aus dem Norden des Landes noch mit Geld besänftigen und sich eine Art »Burgfrieden« erkaufen. Die Mittel dafür stammen aus den geringen Erdöl-Exporten. Doch diese Quellen sind spätestens in zehn Jahren versiegt.

Und auch das Wasser wird knapp: Der Grundwasserspiegel in Sanaa sinkt jährlich um bis zu acht Meter, das meiste Wasser wird zum Anbau von Khat genutzt – einer Kaudroge, die das ganze Land täglich in eine tiefe Apathie stürzt. »Ab 13 Uhr liegt die Volkswirtschaft danieder«, so Wöhrl. Aber nicht nur das beeinträchtigt die Entwicklungshilfe vor Ort – ein Bereich, in dem Berlin im Jemen traditionell stark vertreten ist. Die Anzahl der Unruhe-Provinzen, in denen der Staat nichts zu melden hat, nimmt beängstigend zu. Vor allem östlich der Hauptstadt Sanaa geht gar nichts mehr. Die meisten deutschen Projektleiter können ihre eigenen Hilfsprojekte nicht mehr betreuen und wurden aus Sicherheitsgründen abgezogen.

Neue und radikalere Generation der Al Kaida in den Provinzen
Das Auswärtige Amt rät von Reisen in die Regionen Marib, Sa’ada, Abyan, Al-Jawf, Shabwa und Hadramaut eindringlich ab. In einigen dieser Provinzen hat sich laut Wöhrl eine zweite Generation von Al-Kaida-Anhängern breitgemacht, die weitaus radikaler sind als früher. Sie betreiben Terror um jeden Preis, hat sie erfahren.

»Die jungen Leute haben oft nur zwei Möglichkeiten: Mörder sein oder ermordet werden«, zitiert Wöhrl den Religionsminister. »Wenn sie keine Hoffnung mehr für ihr Land sehen, sind sie für Radikale leicht zu rekrutieren.« Saleh lässt das scheinbar kalt. Er klammert sich an die Macht, verschiebt Parlamentswahlen nach Belieben und macht Zeitungen dicht, wenn sie allzu kritisch berichten. Dennoch glaubt Wöhrl, dass er für die Zukunft des Landes eine Schlüsselrolle spielt: »Irgendwann wird er finanzielle Hilfe brauchen – und die müssen wir dann an Bedingungen knüpfen.«

Nürnberger Nachrichten
Martin Damerow, Sarah Benecke 21.4.2010

2010.04.21_NN_Jemen_Ali-Abdullah-Saleh

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