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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Der Club ist manchmal ein Depp – aber immer ein liebenswerter.

clubexpertenforumWenn sich Politiker zum Thema Sport äußern, wird dies zumeist mit einem müden Lächeln der Fans quittiert. Und häufig ist es auch so, dass Politiker sportliche Großevents, Endspiele und internationale Wettbewerbe besuchen, um sich im sportlichen Ruhm und Triumph zu sonnen – in der Hoffnung im Glanz der Sportler selbst authentischer, athletischer und aufregender zu wirken.

Da ich heute aber über den 1. FC Nürnberg schreibe, kann ich mich von diesem Vorwurf wohl exkulpieren: Denn „Glubb“ und Erfolg – das liegt eher selten beisammen. Wenn ich an den 1. FCN denke, ist es immer ein schmaler Grat zwischen Wahnsinn und Genie, zwischen Höhen und Tiefen, zwischen Liebe und Vergebung.

Der Franke und der Cluberer
Der Franke an sich ist eher pessimistisch eingestellt. Deshalb ist in unserer Wahrnehmung der FCN der Meister der negativen Rekorde, spielt alljährlich einmal mehr einmal weniger erfolgreich gegen den Abstieg und während andere Mannschaften auch in der 92. Minute ein Tor schießen können, ist der 1. FCN die Mannschaft, die es fängt.

Aber wie so oft im Leben ist vieles eine Frage der Perspektive: Unser Club ist immerhin auch Rekordaufsteiger, ist seit 2 Jahren ungeschlagener „Relegationsmeister“ und hat in dieser Spielzeit auch schon Spiele in der letzten Minute für sich entschieden.

Unser Problem ist unsere mentale Schwäche – als Franken und als Clubberer!
Ich weiß nicht, ob wir noch immer an der vor über 200 Jahren zurückliegenden Einverleibung zu Bayern knabbern oder woran es sonst liegen könnte. Aber wir Franken zählen nicht zu den selbstbewusstesten Völkern – auch wenn es hierfür keinen ersichtlichen Grund gibt. Und auf wundersame Weise scheint sich diese Mentalität auf die Spieler des 1. FCN zu übertragen – egal aus welchen Teilen der Welt sie stammen. Die Mannschaft zeigt zu oft mentale Schwächen, statt mit Selbstbewusstsein und der ihr sicheren Unterstützung der Fans im Rücken aufzuspielen.

Charakteristisch für dieses Phänomen ist einmal mehr die aktuelle Spielweise des FCN: Unsere Defensive wird bundesweit gelobt („Beton-Dreieck“) – unseren Angriff nimmt man nicht wahr. Es hat den Anschein als komme der Club immer erst nach einem Gegentor in Fahrt. Zuerst warten wir aber ab, sichern und mauern lieber, als kühn und frech im Angriff auf Risiko zu spielen.

Der Club kann aber mehr! Und seine Fans haben mehr verdient.
Liebe Mannschaft, überrascht uns mit Esprit und Kreativität, zeigt Zähne und spielt mit Selbstvertrauen nach vorne! Vielleicht wäre es nicht schlecht, einen professionellen Mentaltrainer zu engagieren, denn der FCN verliert die meisten Spiele nicht auf dem Feld, sondern im Kopf!

Und wir brauchen auch eine Vereinsführung, die dieses Selbstverständnis nach außen tragen kann. Der neue Vorstand und seine neue Struktur müssen sich in mehrfacher Richtung beweisen: vertrauensschaffende Maßnahmen gegenüber der fränkischen Wirtschaft, um mehr regionale Unternehmen im Sponsoring in die Pflicht nehmen zu können. Aber auch die Mitgliedergewinnung gilt es weiter voranzutreiben und stets ein offenes Ohr für die langjährigen Fans zu haben. Und zu guter Letzt sollte eine sportliche Agenda, ein Masterplan 2020 entwickelt werden.

Der neue Vorstand ist bunter gemischt als zuvor – aber mit Bedauern musste ich sehen, dass wieder einmal keine Frau in der Führungsriege vertreten ist. Vielleicht ist ja eine weibliche Sicht der Dinge, was dem FCN zum dauerhaften Erfolg fehlt?

Kein easy credit
Dass es nicht immer leicht ist einen „easy credit“ zu bekommen, musste auch der FC Nürnberg feststellen, aber im Unterschied zu normalen Investoren kann der Club auf seine starke Fanbasis zählen. Durch seine Anleihen-Aktion hat der Club dieses Jahr über 6 Mio. Euro sammeln können – das spricht für seine Anhänger!

Ich bin seit über zwei Jahrzehnten in der Politik und habe immer wieder erlebt, dass zu oft der Mut fehlte, große Investitionen zu tätigen, den großen Wurf zu wagen. Deshalb finde ich den entschiedenen Gang des FCN hier gut. Der Neubau am Sportpark Valznerweiher schafft professionelle Rahmenbedingungen, die notwendig sind, um die Arbeit des 1. FC Nürnberg zu optimieren und den Club auch sportlich weiterzuentwickeln. Gerade auch das Konzept eines „Club-Museums“ hat mich überzeugt. Im neuen Museum sollen 110 Jahre bewegende Club-Geschichte mit ihren großen Erfolgen und unvergesslichen Erlebnissen, mit den faszinierenden, packenden und mitreißenden Momenten, die mit ihr verbunden sind, zu neuem Leben erweckt werden. Ein Verein mit einer derartigen Tradition hat einen Platz des Gedenkens mehr als verdient.

Die Zukunft leihen?
Ich bin keine Fußballexpertin, nur ein interessierter Fan mit langer Tradition. Denn mein Vater spielte damals zusammen mit Max Morlock und beide haben auch gemeinsam den Trainerschein in Grunewald absolviert. Der Club war bei uns zuhause also schon von klein auf das Thema Nummer 1.
Und da beschäftigt mich eine Entwicklung in den vergangenen Jahren doch sehr: Die Praxis des Vereins Spieler auszuleihen.

Dies hat sicherlich den Vorteil schnell und preiswert an gute Spieler zu kommen. Aber kann man so langfristig eine effiziente und eingespielte Mannschaft aufbauen, die über Jahre hinweg nicht nur den Klassenerhalt schaffen kann, sondern auch einmal international spielt?

Hier habe ich doch große Bedenken, dass einfach zu kurz gedacht wird. In Anbetracht der prekären finanziellen Lage wünsche ich mir keine übertriebenen Transferaktionen a la Schalke oder schwer nachvollziehbare Gedankenspiele über ein eigenes Stadion. Aber umso mehr brauchen wir ein herausragendes Scouting bei jungen, erschwinglichen Spielern, die man langfristig an den Verein binden kann.

Der FCN wird auf absehbare Zeit keine finanziellen Wunder erwarten dürfen, auf eine lange Verweildauer im Pokal müssen wir hoffen, aber einen Ansatzpunkt haben wir: die Jungendförderung! Denn das Potential der Jugend ist die Zukunft des Vereins und wird ihn wettbewerbsfähig machen.

Da passt es gut, dass vor einiger Zeit „St. Paul -Haus der Athleten“ in Nürnberg eröffnet wurde – ein Ort der pädagogisch verantwortbaren Nachwuchsförderung für Spitzensportler. Deshalb werde ich auch die Schirmherrschaft für St. Paul übernehmen, um auf dieses Leuchtrumprojekt aufmerksam zu machen, Türen zu öffnen und Sponsoren zu finden, denn es wird Zeit: Weltmeister und Olympiasieger made in Franken!

Der FCN sollte sich seine Zukunft nicht leihen. Der FCN sollte sich seine Zukunft selbst aufbauen.

Ein Forum für Trainer
Ein Fußball-Expertenforum ist wohl der Albtraum eines jeden Trainers: Fachleute, die meistens vieles vermeintlich besser wissen, diskutieren und bewerten wöchentlich die eigene Arbeit.

Nach dem Durchstöbern durch die Seiten des CEF, kann ich diese Befürchtung aber nicht teilen – im Gegenteil: Lieber Herr Hecking, vielleicht müssen Sie hier nicht alle Kommentare ernst oder persönlich nehmen, aber ab und zu ein Blick in dieses Forum wird sicherlich nicht schaden!

In diesem Sinne wünsche ich allen Cluberern viel Spaß im Stadion und spannende Beiträge im Forum. Mit meinen Gedanken hoffe ich etwas zur lebendigen Diskussion rund um unseren Glubb beitragen zu können:

Der Club ist manchmal ein Depp…aber immer ein liebenswerter!

Ihre Dagmar Wöhrl

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