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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Unser buntes Schland

Die Fußballweltmeisterschaft hat in den vergangen Wochen für reichlich Abwechslung und Unterhaltung quer durch die ganze Welt gesorgt. Wir Deutschen haben unsere gut verstauten Deutschland-Fähnchen und Wimpel wieder aus dem Keller geholt und voller Freude mit unserer jungen Mannschaft gefeiert und gelitten.

In Südafrika ist für Deutschland eine Vielvölkerfamilie angetreten. Es sind die Söhne türkischer und tunesischer Einwanderer wie Mesut Özil und Sami Khedira, die Söhne polnischer Aussiedler wie Lukas Podolski und Miroslav Klose. Es sind Spieler mit afrikanischen Vätern wie Jerome Boateng oder Dennis Aogo und mit Marko Marin ist sogar der Sohn von bosnischen Kriegsflüchtlingen dabei.

Keine andere Nation bei der WM hat so viele Spieler entsandt, die auch für ein anderes Land hätten auflaufen könnten – 11 von 23 – aber sie und der Trainer haben sich für Deutschland entschieden. Wenn man in den letzten Wochen die internationale und auch die nationale Presse verfolgt hat, so war Allerortens von einem freundlichen, frischen und freudigen jungen Team die Rede. Diese Mannschaft überraschte die Welt und uns selbst, denn Deutschland hat sich in Südafrika als ein Land der Integration gezeigt.

Die Leichtigkeit der deutschen Tugenden
Sehr deutlich hat sich dieses neue Wir-Gefühl in der Spielweise der deutschen Mannschaft gezeigt. Es gibt immer noch die urdeutschen Tugenden, diesen Kampfgeist, die Ordnung und die Disziplin. Gleichzeitig sind aber neue Impulse hinzugekommen– Leichtigkeit, Unbekümmertheit und Spielfreude.

Diese Integrationserfolge beschränken sich jedoch nicht nur auf den Fußball. Was wir im Sport sehen – ist trotz aller noch vorhandenen Probleme – stellvertretend für einen allgemeinen Trend in unserem Land: Die Integration in Deutschland läuft auf Erfolgskurs. Abgehobene öffentliche Diskussionen um eine „gescheiterte Integration“ haben wenig mit dem zu tun, was die Bevölkerung im Alltag erlebt. Dies zeigt unter anderem auch das erste Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Vor allem im europäischen Vergleich sind die deutschen Integrationserfolge beachtlich. Selbst in den Bereichen, in denen wir uns noch mehr anstrengen müssen, sind wir schon weiter als viele andere Länder. So liegt die Arbeitslosigkeit bei Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland zwar nach wie vor höher als bei der Mehrheits-bevölkerung. In den Niederlanden und Schweden ist für Zuwanderer das Risiko, arbeitslos zu werden, aber annähernd dreimal so hoch.

Ich finde, wir sollten verstärkt auch über solche Erfolge reden und nicht immer nur den Fokus auf die Probleme legen. Es gibt viele positive Botschaften. Wir müssen uns bemühen, sie zu hören und sie als Motivation für noch mehr Anstrengung nehmen.

Von einem Team lernen

So lautet beispielsweise die wichtigste Botschaft unserer Nationalelf an alle Migranten: Du kannst es schaffen. Du hast eine Chance in diesem Land. Du bist ein Teil dieses Staates. Nehmen wir diese Motivation auf und schaffen noch mehr Durchlässigkeit in unserer Gesellschaft. Vor allem braucht jeder einen Einstieg zum Aufstieg.

Hier müssen wir bereits im Kindergarten und in der Schule anfangen. So besuchen nur knapp 47% der Kinder mit Migrationshintergrund einen Kindergarten, aber alle Bildungsstudien zeigen: Wer früh gefördert wird, ist später erfolgreicher. Und deshalb setzt die allgemeine Schulpflicht zu Recht bei einem verbindlichen Besuch der Grundschule an. Sie fragt nicht nach Staatsangehörigkeit, nach ethnischer Herkunft, sozialer Schicht oder Religion.

Die Schule ist das wirksamste Integrationsinstrument des Staates, vielleicht das einzige, das nachhaltige Wirkung zeigt. Denn, so das Bundesverfassungsgericht, „soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind.

Besonders entscheidend ist der Spracherwerb von Anfang an. Nur wer Deutsch kann, wenn er in die Schule kommt, hat gleiche Start-Chancen. Deutsch zu lernen ist keine Hürde, keine Schikane, sondern der Bau einer Brücke in eine gemeinsame Zukunft. Nur wer mit einer gemeinsamen Sprache kommunizieren kann, kann Vorurteile abbauen und Hindernisse überwinden. Und deswegen ist es mir so wichtig, dass wir im Bildungsbereich nicht sparen. Ganz im Gegenteil müssen wir trotz knapper Kassen mehr investieren. So brauchen wir etwa an Schulen mit hohem Migrantenanteil mehr Lehrkräfte, mehr Sozialarbeiter sowie mehr Zeit in Form von Ganztagsschulen, damit unsere Kleinen den Hürdenlauf des Lebens gemeinsam von einer Startlinie beginnen können.

Anerkennung ist mehr als Beachtung
Ich bin sicher, dass die Identifikation mit unserem Land umso leichter fällt, desto mehr Aufstiegschancen geboten werden, desto mehr man auf Grundlage seiner Leistungen beurteilt wird und nicht seiner Abstammung – so wie auf dem Fußballplatz. Und die Aufsteiger unter den Migranten bilden wiederum wichtige Vorbilder – auch für die Deutschen. So wie es uns in den vergangen Wochen die deutsche Nationalmannschaft gezeigt hat.

Impulse zur Integration gehen aus vom Führungspersonal, von Gemeinsamkeitserlebnissen, von Kultur und Geschichte, Lebensraum und Symbolen, von Werten. Diese Grundkonstanten bedürfen aber nicht nur einer schlichten Beachtung von Migraten und Deutschen. Sie bedürften der Anerkennung. Denn Anerkennung ist mehr als Beachtung. Anerkennung ist eine bewusste, subjektive Willensbildung.

Kleider machen Leute
Vor ein einigen Tagen beobachtete ich am Dutzendteich ein paar Kinder beim Fußballspielen. Alle mit viel zu großen Nationaltrikots, die ihnen fast bis zu den Knien reichten. Jeder von ihnen suchte sich ein Vorbild aus der Nationalelf aus, das es dann auf dem Platz darstellte – wie es Kinder halt so machen. Was ich an dieser alltägliche Szene bemerkenswert fand war, dass zwei strohblonde, deutsche Jungen unbedingt Sami Khedira und Mesut Özil sein wollten.

Wenn ich so etwas sehe, weiß ich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Und vielleicht trägt jetzt eine offene Debatte über Integration in Deutschland auch dazu bei, unsere gewisse nationale Verklemmtheit, geprägt von Schuld und Sühne, zu überwinden. Vielleicht kommen wir Deutschen auch endlich mit uns selbst ins Reine. Integration ist Sache von Mehrheit und Minderheit zugleich.
Wir sind eine bunte Republik geworden.

Wir sind weltweit beliebt. Wir sind jetzt Schland.

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