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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

Meinen aktuellen Webauftritt finden Sie hier:
→ www.dagmar-woehrl.consulting



In Zeiten wie diesen. Ein Praktikanten-Blick hinter die Kulissen des politischen Alltags der Berliner Krisen-Republik

„Ick seh‘ Sie hier nisch uff de Liste! Da kommen Sie nisch rein. Wohl neu hier,wa?“
Dies waren die ersten Worte, die mir montagmorgens zu Beginn meines Praktikums bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Dagmar G. Wöhrl entgegenschlugen. Die wie immer stets vorbildlich handelnden Sicherheitsbeamten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie kannten auch mit mir keine Gnade und so kam ich vorerst nicht zu meinem neuen Arbeitsplatz.

Allerdings lernte ich gleich zu Beginn eine der wichtigsten Lektionen: Die sogenannte Berliner Schnauze scheint es tatsächlich zu geben und die Freundlichkeitsoffensive der Stadt Berlin, die ihre Bürger zu einem netteren Umgang mit Mitmenschen, Touristen und, ja auch, Praktikanten bewegen  soll, scheint noch nicht voll gegriffen zu haben.

Nachdem diese erste Hürde genommen war und ich auf den Spuren Ludwig Ehrhardts durch das Bundeswirtschaftsministerium wandeln durfte, konnte ich gleich an einem Highlight im wöchentlichen Turnus des Büros Wöhrl teilnehmen: Die Teambesprechung. Hier treffen sich alle Mitarbeiter aus dem Bundestag und dem Bundeswirtschaftsministerium und es wird die anstehende Woche und deren Termine besprochen. Dieses Treffen gab mir die Möglichkeit die unterschiedlichen Charaktere gleich zu Beginn in Interaktion zu erleben. Um der Konversation folgen zu können, bedurfte es allerdings höchster Konzentration und einiger Fremdsprachenkenntnisse, da in einer Mischung aus Berlinerisch, gemengt mit politischen Fachausdrücken und gewürzt mit einer Fülle von Abkürzungen gesprochen wurde. Wenn es mit meinem Jurastudium doch nicht klappen sollte, werde ich wohl ein Wörterbuch verfassen: Deutsch – Bundestagspraktikant, Bundestagspraktikant – Deutsch.

– breaking news – Ticker-Meldung – breaking news –
Dass ich nicht irgendwo Praktikum mache, sondern bei einer Parlamentarischen Staatssekretärin wurde mir schnell klar: Was für normale Praktikanten den Dreiklang aus Kaffee kochen, kopieren und Kurierdiensten darstellt, ist für Praktikanten im Bundeswirtschaftsministerium das Markieren der Ticker-Nachrichten. Und es gibt viele Nachrichten. Mehrmals täglich. Zu jedem Thema. Dauerbrenner während meines Praktikums waren der Mittelstand, die Umweltprämie, die Automobilindustrie, die Bankenkrise und natürlich die maritime Wirtschaft. Also, interessierten sich mein Textmarker und ich die letzten Wochen auch für diese Themen. Es ist wirklich erstaunlich wie viel Journalisten zu einem Thema in einigen Wochen schreiben können. Die Medien haben in unserer Gesellschaft großen Einfluss, vor allem, was das Themensetting betrifft. Sie fungieren quasi als vierte Gewalt, ohne allerdings hierfür demokratisch legitimiert zu sein. So werden einige Themen en detail und en passant behandelt, andere fallen nach dem Motto „good news is no news“ komplett unter den Tisch.

Nach und nach bekam ich auch mehr Aufträge: Telefonate führen, Hintergrundinformationen zu Bürgerfragen recherchieren, Termine bestätigen, aktuelle Presseauswertungen machen – es war ein buntes Potpourri an Aufgaben. Alle Dinge waren scheinbar gleich wichtig und mussten sofort erledigt werden. Nach einigen Wochen gelang es mir dann aber schließlich, die unterschiedlichen Betonungen des Wortes „sofort“ zu dekodieren und hörte auf vom Schreibtisch zum Fax, über den Kopierer und zurück zu rennen. Joggen genügte.

Mittendrin – statt nur dabei

Dass wir uns in einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise befinden, wird wohl inzwischen jedem bewusst sein und mit Interesse oder Furcht folgt man der gegenseitigen Überbietung der Agenturen mit negativen Schlagzeilen. Aber plötzlich war die Krise kein fremdartiges Wortgebilde mehr, sondern greifbar nahe. Man hätte sich wohl kaum einen interessanteren Moment für ein Praktikum im Bundestag aussuchen können. Denn in turbulenten und ereignisreichen Zeiten wie diesen, lässt sich nicht einfach Alltagspolitik betreiben. Die Abgeordneten müssen schwierigste und auch teilweise ungewöhnliche Entscheidungen treffen, da außergewöhnliche Zeiten außergewöhnliche Schritte erfordern. Und deshalb stellt sich für Deutschland wie den Rest der Welt die Frage: Quo vadis?

Frau Wöhrl orientiert sich an dem Kompass der sozialen Marktwirtschaft und folgt ordnungspolitischen Grundsätzen. Ich konnte sie in die Arbeitsgemeinschaft und den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie begleiten. Dies war ein einmaliger Blick hinter die Kulissen und die Arbeitsweisen des Bundestages. Als Parlamentarische Staatssekretärin vertritt sie in diesen Gremien die Bundesregierung und muss so beispielsweise Stellungnahmen zu dem weiteren Vorgehen bei aktuellen Gesetzesvorhaben oder „Rettungsgesuchen“ krisengefährdeter Unternehmen abgeben.

Von Mittelstand über maritime Wirtschaft zum Tierheim und wieder zurück
Die spannendste und interessanteste Zeit war jedoch, wenn ich mit meiner Chefin auf Auswärtstermine gehen durfte. Frau Wöhrl ermöglichte es mir, sie zu vielen Terminen begleiten zu können. Was mich wirklich überraschte, war mit welcher Themenvielfalt sich Politiker beschäftigen müssen. Hinzu kommt der chronische Zeitmangel, sodass für die Vorbereitung mancher Termine nur wenige Minuten bleiben. Umso souveräner meisterte meine Chefin ihre Aufgaben und glitt meist geschmeidig auf dem schwierigen Parkett der Politik. Frau Wöhrl stellte mich auch all ihren Gesprächspartner vor, so dass ich sehr unterschiedliche und interessante Persönlichkeiten treffen und kennenlernen durfte. Auf unserem ersten „gemeinsamen“ Parlamentarischen Abend, war ich noch, von den ganzen Eindrücken überwältigt, etwas langsam unterwegs, sodass Frau Wöhrl mehrmals auf mich warten musste. Dies wurde aber zu meiner Ehrenrettung mit der Zeit besser.

Herr Kühnlein, können Sie mal bitte?“ wurde bald eine vertraute Floskel und bedeutete entweder: Foto machen, wo findet der nächste Termin statt, was stand im Ticker oder halten Sie bitte kurz meine Akten oder auch mal meine Handtasche. Und so stand ich dann inmitten von wichtigen Leuten, die aus dem Fernsehen kannte mit einer Handtasche. Nun mag man sich zurecht fragen, was dies in einem Praktikantenbericht zu suchen hat, aber ich denke, es gehört schon einiges Geschick dazu, als Mann mit Handtasche, Akten, Handy, Visitenkarten und Terminkalender nur annähernd so elegant wie seine Chefin auszusehen.

Trotz all des Stresses nahm sich Frau Wöhrl auch stets Zeit für mich, erklärte mir die häufig komplexen Zusammenhänge in der Welt der Politik und wer die Personen sind, die mit ihr Kontakt aufnehmen möchten, um neue Projekte voranzutreiben. Dagmar Wöhrl ist es wichtig, an möglichst vielen und auch sehr unterschiedlichen Veranstaltungen teilzunehmen, um so im ständigen Austausch mit den Menschen einerseits die eigene Politik zu erklären und andererseits die Probleme und Sorgen der Gesprächspartner verstehen zu können.

Einblicke, die verändern
Summa summarum war mein Praktikum eine spannende, herausfordernde und interessante Zeit.
Ich wünschte mir, mehr Menschen könnten diese ungeschönten und realistischen Einblicke in den politischen Alltag gewinnen. Es hat meine Sicht auf die Politik an sich und die Politiker im Speziellen positiv verändert. Politiker werden doch häufig unterschätzt und in einem Zerrbild dargestellt. Und Politik kann durchaus begeistern und elektrisieren. Ich hoffe, dass gerade wir, jungen Leute, wieder den Weg zurück in die Politik oder zumindest zur Wahlurne finden, sodass wir auch in Zukunft eine vitale und starke Demokratie in Deutschland haben werden.

Player win games, but teams win championships
Zu jedem erfolgreichen Politiker gehört auch ein erfolgreiches Team, auf das man sich verlassen kann. Dagmar Wöhrl ist mit beidem gesegnet: sie gestaltet selbst erfolgreich Politik und hat ein außergewöhnliches Team um sich, das mit Engagement und Kreativität seine Aufgaben erfüllt, sodass auch noch Zeit blieb, sich um „Flori“, wie ich liebevoll genannt wurde, zu kümmern. So bekam ich ungewohnte Einblicke in Dagmars, die Berliner und letztlich auch in meine eigene Welt.

Als ich das letzte Mal das Wirtschaftsministerium verließ, sagte ich zu den Sicherheitsbeamten:  Dat war ne Zeit, wa?

Florian Kühnlein

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