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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Dagmar Wöhrl spricht im Bundestag zu “Erinnerung und Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994“ ( 27. Sitzung vom 04.04.2014)

Dagmar Wöhrl spricht im Bundestag zu "Erinnerung und Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994“ ( 27. Sitzung vom 04.04.2014)Rede im Deutschen Bundestag
 „Erinnerung und Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994“
Sitzung vom 04.04.2014, Wöhrl, Dagmar G. (CDU/CSU)
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erinnerung und Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Es ist bis heute bereits viel über internationale Verantwortung damals und heute gesprochen worden. Ich möchte Ihnen zunächst einmal folgende 2 Zitate vorlesen:

„Am Abend zuvor spielten meine Kinder mit den Nachbarskindern, mein Mann unterhielt sich mit ihrem Vater und ich kochte […] das Abendessen. Am Tag darauf kamen sie und töteten meine Familie. Man sagt mir nun, ich solle nach vorne schauen. Mein Mann und meine Kinder wurden ermordet. Wie kann ich also verzeihen?“ (Ruanda)

 „Als sie unsere Stadt einnahmen, haben sie zuerst meinen Vater erschossen. Als sie dann wieder zu unserem Haus kamen, wollten sie die angeblich versteckten Waffen bei uns mitnehmen. Meine Mutter und meine Schwester sagten ihnen, dass wir keine Waffen im Haus hätten. Als ich wieder nach Hause kam, fand ich sie beide tot auf dem Fußboden. Ich bin nun ganz alleine.“ (ZAR)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erkennen Sie einen Unterschied?

Das erste Zitat ist 20 Jahre alt. Das 2. nur ein paar Monate alt. 

Das 1. stammt aus Ruanda. Das 2. aus der Zentralafrikanischen Republik.

Es stellt uns vor die Frage: Wie steht es mit der internationalen Schutzverantwortung, zumindest gegen die schlimmsten Verbrechen: den Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ruanda vor 20 Jahren

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zwischen dem 6. April und dem 17. Juli 1994 wurden in Ruanda zwischen 800.000 und 1 Million Menschen ermordet. Kaltblütig, systematisch und grausam, d.h. fast 10% der Bevölkerung.

In anderen Worten: Mindestens 8.000 Menschen wurden pro Tag gefoltert, vergewaltigt und umgebracht. Eine mediale Hetzkampagne im Land stachelte die Mörder zusätzlich an.  In Ruanda konnte irgendwann niemand mehr die Gräueltaten verhindern. Nur eine ½ Stunde nach Abschuss des Flugzeuges des Präsidenten Habyarimana wurden die 1. Tutsi und Oppositionspolitiker ermordet.  Ein organisierter Völkermord, kein Bürgerkrieg.
Hutu Milizen hatten vorbereitete Listen mit Adressen fast aller Tutsi. Monate vorher kamen 100.000 bestellte Macheten aus China.  Ein über Generationen entstandener, brodelnder, ethnischer Konflikt kam zum Ausbruch.
Hier die Ackerbauern, dort die Viehzüchter.  Ziel: Ausrottung der Minderheit der Tutsis.
Während blindwütig gemordet wurde, versagte die internationale Gemeinschaft.
Sie/Wir ließ das Morden geschehen, ohne einzuschreiten.
Wir verstanden nicht, was vor sich ging.
Interessengegensätze im Sicherheitsrat, Somalia-Trauma der USA, dramatische Szenen des Nichteingreifens, bewaffnete B…. auch Deutschland versagte die von VN im Mai 94 gebetene Transall Maschine und 100 Sanitätssoldaten.

Fehlen internationaler Verantwortung

Es fehlte der Mut, Internationale Verantwortung zu übernehmen.
Mut, um Situation vor Ort zu verstehen.
Mut, die Instrumentalisierung von Glauben und Ethnien nicht zuzulassen.
Mut, um einzugreifen, wenn es dringend geboten ist.
Und vor allem Mut, auch die langfristigen Konsequenzen eines Eingreifens zu tragen.
Wir alle wissen heute, eine ehrliche Analyse hätte uns zwingen müssen einzugreifen.
Mut hatte damals niemand! Abgesehen von der Handvoll anonymer Ruander, deren Namen wir leider oft nicht kennen, die aber unseren größten Respekt verdienen. 
Sie haben sich unter Einsatz ihre eigenen Lebens für ihre Landsleute – für die Tutsis – eingesetzt und sie versteckt.
Wie der Direktor des Hotels Milles Collines in Kigali, der mehr als 1.000 Menschen gerettet hat.

Internationale Lehren

Aber die Weltgemeinschaft hat Lehren aus ihrem Versagen gezogen.
Es entwickelte sich das Rechtsinstitut der Schutzverantwortung, d.h., in 1. Linie ist der Staat selbst gefordert, seine Bevölkerung zu schützen. Nur wenn er nicht Willens ist oder nicht in der Lage, geht die Schutzverantwortung auf die Staatengemeinschaft über. Der internationale Strafgerichtshof für Ruanda ICTR beendete die Straflosigkeit für schwerwiegende Verbrechen politischer Amtsträger. Vergewaltigung wurde als Begehungsform des Völkermordes das  1. Mal anerkannt.

Positives über Ruandas Entwicklung

Heute, 20 Jahre später, präsentiert sich Ruanda als Musterstaat.  Es strebt nach Zukunft, hat Wachstumsraten von 8%. Laut Weltbank war Ruanda 2013 das unternehmerfreundlichste Land.
Der Wiederaufbau schreitet voran – auch Dank internationaler Unterstützung.
Ruanda hat eine der vielfältigsten und engagiertesten Zivilgesellschaften und Frauenrechtsorganisationen.
Aus entwicklungspolitischer Sicht ist dieses Wachstum auch eine der wichtigsten Zutaten für langfristige Stabilität und Frieden.
Ruanda übernimmt internationale Verantwortung: Ruanda ist auch zu einem verlässlichen Partner bei Friedensmissionen auf dem afrikanischen Kontinent geworden.

Trotz der vielen Fortschritte seit 1994, ein nachhaltiger, innerer Frieden ist noch nicht durch.
Aber Ruanda hat ein schweres Erbe übernommen.
Eine traumatisierte Opfer-Täter Generation besteht weiterhin.
Die Gacaca-Gerichte wurden für die Versöhnung eingerichtet:  2 Mio. Fälle bis 2011.
Aber kann sich jemand mit einem Opfer versöhnen, das er vergewaltigt, gefoltert, getötet hat?
Opfer und Täter leben immer noch oft Tür an Tür. Man versucht zu vergessen, zu verdrängen.
Mio Ruander gedenken dieser Tage ihrer verstorbenen Familienmitglieder, der Verlust ist jedoch nicht mehr gut zu machen.
Aber auch heute sind viele Menschen noch immer in Gefahr.

Lehren aus Ruanda

Denn wer glaubt, das Morden in Syrien mit mehr als 150.000 Toten, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik geht uns nichts an, der hat viel zu kurz gedacht!
Blutige Konflikte zwischen Moslems und Christen, die Spätfolge nicht absehbar.
Der Versöhnungsprozess wird hier sehr lange dauern, er hat noch nicht einmal angefangen.
Nicht erst, wenn die Tragödien sich vor unserer Haustür abspielen sollten wir reagieren. Wir müssen als verantwortungsbewusste Weltgemeinschaft agieren!
Der Genozid hat die Weltbevölkerung aufgeschreckt. Dass wir heute hier im Deutschen Bundestag über den Antrag diskutieren, ist ein wichtiges Zeichen! Vor 20 Jahren gab es diese dringend notwendige Debatte nicht.
Dass wir heute über den Völkermord in Ruanda sprechen, zeigt, dass wir uns der Fehler der Vergangenheit durchaus bewusst sind.
Wir haben eine Verantwortung, Menschen die weltweit in schlimme Not geraten, die unterdrückt, gefoltert und ermordet werden, zu schützen.
Wir wissen aber auch, dass der Einfluss, auf nationale Konflikte zu reagieren, oft begrenzt ist.
Ein Engagement kann gefährlich sein, das Leben unserer Soldaten kann auf dem Spiel stehen.

Internationale Verantwortung?

Verantwortung zu übernehmen, heißt nicht, dass wir künftig überall militärisch eingreifen sollen, wenn die Situation in einem Krisenland droht, zu eskalieren.
Verantwortung zu übernehmen, heißt vielmehr: sich nach Kräften und Möglichkeiten innerhalb der Europäischen Union und innerhalb der Vereinten Nationen zu engagieren, zu vermitteln,  um gemeinsam Gräueltaten frühzeitig zu verhindern.
Eventuell muss dann auch EZ gestoppt werden, wenn dies nötig ist.
Die Weltgemeinschaft muss mit 1 Stimme sprechen!
Es reicht nicht, allein von der „Responsibility to Protect“ zu sprechen, wir müssen auch in der Lage sein, diese tatsächlich umzusetzen!

Deutsche Verantwortung?

Auch hat Deutschland viele Möglichkeiten, auf Entscheidungsträger und auf Verantwortliche vor Ort Einfluss zu nehmen.
Und dies schon frühzeitig! Durch gezielte entwicklungspolitische, präventive Maßnahmen.
Mit unserer Entwicklungszusammenarbeit unterstützen wir unsere Partner in 50 Ländern, dass sie selbst für
wirtschaftliche Stabilität, für politische Teilhabe und für langfristigen Frieden sorgen können.
Ruanda ist seit 2000 ein Schwerpunktland der bilateralen Zusammenarbeit im Bereich Dezentralisierung und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung.
Ruanda sieht Deutschland als zuverlässigen Partner auf Augenhöhe.

Auch unsere Beteiligung an EEF in EU —- voraussichtlich 460 Mio Euro .
Schwerpunkte:
– Verantwortungsvolle Regierungsführung
– Ernährungssicherung
– Energie

Unser Antrag zeigt genau dies: Wir müssen und wir werden uns weiterhin für die Stärkung der Demokratie und Menschenrechte als Grundlage von Frieden in Ruanda einsetzen. Wir werden weiterhin am Aufbau einer starken Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien in Ruanda unterstützen.

Wegen unserer Verpflichtung gegenüber den Opfern des Völkermordes in Ruanda im Jahr 1994 ist es im 
Jahre 2014 unsere größte und wichtigste Verantwortung, in anderen Ländern nicht die Augen vor den Gräueltaten zu verschließen.

Es müssen noch viele mutige Schritte getan werden, bis wir wirklich und ehrlich von internationaler Verantwortung sprechen können. Dass wir alle davon profitieren werden, sollte uns allen längst klar sein.
Wir gedenken zusammen mit den Ruandern der Opfer, wozu auch Hutus gehören und sichern zu, sie auf dem Weg hin zu Stabilität und langfristigem Frieden weiterhin zu begleiten.

Vielen Dank!

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