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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Das weltweit größte Flüchtlingslager Dadaab braucht weiterhin unsere Unterstützung!

Mein Interview in den Nürnberger Nachrichten vom 9. Oktober 2012 nach meiner Rückkehr aus Kenia:

Überall auf der Welt spielen sich Tragödien ab, die es nicht oft ins Fernsehen oder in die Zeitung schaffen. Eine ist das Schicksal hunderttausender Somalier, die auf der Flucht vor dem blutigen Bürgerkrieg in ihrer Heimat in Kenia gelandet sind — im Lager Dadaab, dem größten Flüchtlingscamp der Welt. Die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl (CSU) hat sich dort umgesehen.

NN: Frau Wöhrl, wie schlimm sind die Zustände in Dadaab?

Dagmar Wöhrl: Das lässt sich nur schwer in Worte fassen. Etwa 80 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt leben fast 480.000 Menschen auf 50 Quadratkilometern. In der Stadt Nürnberg leben 510.000 Menschen auf einer Fläche, die fast vier Mal so groß ist. Insbesondere 2011 sind Zehntausende Flüchtlinge nachgekommen, mittlerweile gibt es insgesamt fünf Lager in Dadaab. Das Elend dort ist sehr bedrückend.

NN: Die UN und andere Hilfsorganisationen unterhalten in der Region mehrere Flüchtlingslager. Woran fehlt es am meisten?

Wöhrl: Derzeit ist es noch extrem trocken. In einigen Wochen beginnt in Ostkenia aber die Regenzeit, bereits jetzt sind starker Regen und Überflutungen vorausgesagt. Dann werden die wasserbezogenen Krankheiten extrem zunehmen — schon jetzt haben unzureichende Hygiene und schlechte Wasserversorgung zu Krankheiten und Seuchen geführt. Allein letzte Woche gab es 223 Fälle von Gelbfieber. Fünf Frauen, die während der Schwangerschaft daran erkrankt waren, sind kurz nach der Geburt ihrer Kinder gestorben. Am meisten fehlt es aber an Schulen. Weit über die Hälfte der Flüchtlinge ist jünger als 20 Jahre. Von insgesamt 250.000 Kindern im schulfähigen Alter können nur etwa 70.000 zur Schule gehen. Ohne Grundbildung haben sie keine Chance, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.

NN: Sie haben die Reise unternommen, um sich zu informieren, was auch von deutscher Seite aus getan werden müsste. Was sollte denn passieren?

Wöhrl: Wir tun schon sehr viel; zwischen 2010 und 2013 erhält Kenia 138 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit. Diese Gelder werden in der Landwirtschaft, im Wassersektor, bei der Energieeffizienz und im Bereich Gesundheit eingesetzt. Im von Deutschland gebauten Krankenhaus – dem einzigen mit einer Entbindungsstation weit und breit – erblicken im Schnitt 15 Babys pro Tag das Licht der Welt. Eine Mutter muss aber spätestens acht Stunden nach der Geburt die Klinik mit dem Neugeborenen verlassen, weil einfach nicht genug Platz ist. Auch Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden, bekommen hier professionelle Hilfe. Von insgesamt 250.000 Kindern im schulfähigen Alter können nur etwa 70.000 zur Schule gehen. Ohne Grundbildung haben sie keine Chance, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Dafür sollten wir uns verstärkt einsetzen.

NN: Kenia bekämpft in Somalia die islamische Al-Schabaab-Miliz. Seither wurden in Kenia mehrfach Anschläge verübt, es gab Entführungen. Zuletzt hieß es, die kenianische Armee habe mit der Hafenstadt Kismayo die letzte Hochburg der Islamisten erobert. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Wöhrl: Erst Mitte September haben wir positive Nachrichten aus Somalia erhalten, als dort ein neuer Präsident gewählt wurde. Er ist das erste durch Stammesvertreter gewählte Staatsoberhaupt nach mehr als zehn Jahren Übergangsregierung. Aber auch nach den Neuigkeiten aus Kismayo sieht es danach aus, als würde die Schabaab-Miliz in Somalia immer weiter zurückgedrängt. Dieser Weg in Richtung Stabilität ist aber noch unsicher: Nach wie vor unterwandert die Miliz auch das Lager in Dadaab und versucht dort, neue Kämpfer zu rekrutieren.
Meine Gespräche mit den Flüchtlingen haben ergeben, dass die meisten gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Dies ist nur möglich, wenn wir Anreize schaffen und den Menschen dort Aussicht auf Sicherheit und Stabilität geben. Denn eines ist klar: Der Terrorismus kann nur beendet werden, wenn Elend und Not vorbei sind und die Menschen eine Perspektive haben. Nur durch Bildung und Arbeit können wir dem Terrorismus den Nährboden nehmen.

NN: Vielfach sind auch Christen Ziel der Angriffe geworden ...

Wöhrl: Ja, das ist traurig. Wir waren nicht weit von der Kirche entfernt, in der am vergangenen Sonntag in Nairobi eine Granate einschlug. Dass dabei ein Kind gestorben ist, ist besonders tragisch. Radikale Gruppierungen dürfen nicht an Macht und Einfluss gewinnen, denn sie gefährden nicht nur das Leben der Menschen in Kenia, Somalia und anderswo, sondern auch den internationalen Dialog.

NN: In Somalia, in Äthiopien und in vielen Ländern der Sahel-Zone haben Islamisten an Einfluss gewonnen. Sehen Sie da eine Strategie, die diesen Trend umkehren könnte?

Wöhrl: Was mir nach meinem Besuch in Dadaab besonders am Herzen liegt, ist, dass wir das Lager und die vielen hunderttausend Flüchtlinge nicht vergessen dürfen. So lange die Fernsehkameras laufen, zeigt die internationale Gemeinschaft kurzfristig Interesse am Elend hier. Es muss aber darum gehen, die Bevölkerung in und außerhalb der Lager langfristig durch gezielte Projekte der Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen und zu stärken.

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