„Reisebegleiter“ heißt die aktuelle Schau des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg (noch bis 1. Mai 2011) mit verblüffenden Koffer-Geschichten von 1750 bis heute. Ein Anlass für die Nürnberger Zeitung, Weltenbummlern von heute in den Koffer zu gucken.
Höflich warten heißt es bei Delegationsreisen. Dann steht Dagmar Wöhrl im Flughafen am Band, das die Koffer der Kollegen ausspucken soll – und blickt innerlich auf die Uhr. „Diese Warterei muss eigentlich nicht sein, denn ich gebe, wenn irgend möglich, nichts mehr auf.“
Zu häufig kam ein Koffer um Tage verspätet an – zudem ist die Vorsitzende des CSU-Fachausschusses Entwicklungspolitik ständig unterwegs und beherrscht die Kunst der Reduktion aufs Wesentliche.
„Hier sind sie“, stellt die Politikerin ihre Reisebegleiter vor und deutet auf zwei kleine Trolleys: „Da passt alles rein. In den einen das für die Reise Notwendige, in den anderen die Akten.“ Fliegt die Bundestagsabgeordnete nach Berlin, packt sie nach dem wöchentlichen Ablaufplan: „Du hast täglich fünf bis sechs Termine – für möglichst alle sollte ein Outfit pro Tag passen“, erklärt sie und krault eine ihrer drei Hundedamen, die auf dem Rücken liegend Frauchens Streicheleinheiten genießt.
„Zur Grundausstattung gehört eine schwarze Hose, mit Blazern variiere ich. Enorm wichtig außerdem: bequeme Reise Begleiter Schuhe!“ Schließlich sind sie elend lang, die Wege im Regierungsviertel; insbesondere, wenn man sie täglich mehrmals abschreiten muss, um sich mit Ministern, Botschaftern oder Parlamentariern an einen Tisch zu setzen.
Schuhe – das Packkiller-Stichwort für beinahe jede Frau – entlockt Dagmar Wöhrl nur ein entspanntes Lächeln. „Zwei Paar für die Woche, das genügt!“
Wie steht es aber, wenn der Dresscode einer Veranstaltung ein Abendkleid erfordert? „Passt doch locker rein!“, sagt sie achselzuckend und tätschelt den größeren der kleinen Trolleys wie einen braven Packesel.
„Mein Kulturbeutel bleibt im Gegensatz zur Kleidung, die ich immer neu packe, in Berlin. Geht es ins Ausland, fülle ich alles ab, so dass ich es im Handgepäck bei mir tragen kann.“ Notwendige Accessoires: Eine dünne schwarze Strickweste – „die passt unter alles und wärmt“ – und ein Schal. „Den habe ich mal aus dem Jemen mitgebracht“, sagt sie und lässt ihn über die Hand gleiten. „Ganz kuschelig, leicht und perfekt gegen kalte Klimaanlagen in Besprechungsoder Vortragsräumen.“
Ist Dagmar Wöhrl im Rahmen der Entwicklungspolitik auf Reisen, gelten veränderte Bedingungen. „Ich informiere mich vorab über die Gegebenheiten vor Ort. Eine einmal erstellte Check-Liste hilft mir, damit ich nichts vergesse. Pakistan, Nepal, Ägypten, Haiti, Afghanistan, Problemzentren wie im Kongo oder im Jemen…“
Sie zählt auf, winkt irgendwann ab. „Ich bin meist in Ländern unterwegs, in denen die Ärmsten der Armen leben.“ Jeans und Hut sind dort an der Tagesordnung, „und festes Schuhwerk – in den Armenvierteln gibt es keine ausgebauten Wege.“ Fön und Seife gilt es, im Miniaturformat dabei zu haben: „In vielen Unterkünften oder Hotels gibt es beides nicht. Auch ein Adapter ist geradezu essenziell, wenn denn die Stromversorgung vor Ort funktioniert.“
Ist doch einmal zusätzlicher Platzbedarf gefragt, hat die Politikerin einen Joker im Gepäck: „Sehe ich etwas Schönes, z.B. Geschenke für meine Familie oder Mitarbeiter, Stoffe oder regionale Handwerkskunst, kommt meine zusammenfaltbare, fast koffergroße Tragetasche zum Einsatz“, verrät sie schmunzelnd.
Stets und überall dabei ist das iPad: „Meine Verbindung zum Büro; das darf ebenso wenig fehlen wie das Aufladegerät“, sagt sie und offenbart ihre ganz eigene Art der Tagebuchführung: „Der Foto muss immer mit, denn ich versuche jeden Tag in meinem Leben ein Foto zu machen. Bei mir kommt die Erinnerung mit den Bildern.“ Ihr Blick fällt auf den privaten Schreibtisch.
„Die Lesebrille!“, ruft sie, „unverzichtbar! Ich arbeite während der Flüge, lese im Grunde ständig und komme an keinem Buchladen vorbei. Dann kaufe und sammle ich Bücher, die ich privat irgendwann lesen möchte. Doch ich komme viel zu wenig dazu.“ Bedauern schwingt da in der Stimme – selbst den Begriff „Reise“ verbindet die Politikerin fast ausschließlich mit dem Beruf. „Denn keinerlei Information und keine Akte kann den Eindruck vor Ort und das Gespräch mit den Menschen ersetzen. Sonst würden wir Politiker Entscheidungen im Berliner Elfenbeinturm fernab der Realitäten treffen.“
Zu einer solchen Reise gehört natürlich eine intensive Vorbereitung: „Wie steht es um die Korruption, die Nahrungsmittelversorgung, wie um die wirtschaftliche Entwicklung und Energieversorgung und wie um die Mütter- und Kindersterblichkeit in Afrika?“, skizziert Dagmar Wöhrl Schwerpunkte. „Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Regierung, wie wird das Geld aus Deutschland angelegt – es soll ja eine effektive Hilfe zur Selbsthilfe sein, aber keine ,Dauerentwicklungshilfe‘.“
Ein fremder Koffer in der Dschungelhütte
Sichtlich genervt erinnert sie sich an eine Situation in Asien: „Vier Stunden vom Flughafen entfernt habe ich in einer Hütte im Dschungel meinen Koffer geöffnet – sogar der Schlüssel hat gepasst – doch darin waren nicht meine Sachen! Dann versuchte ich herauszufinden, wem der Koffer gehört; Tage später kam es zum Koffertausch – wieder ging es vier Stunden mit dem Bus hin und her, das war eine lästige Fahrerei.“
Und private Reisen? Dagmar Wöhrl wirkt nachdenklich. Da muss sie erst mal überlegen. Lange sogar. „Meine letzte Privatreise?“ Sie schüttelt den Kopf.
Vielleicht ein Wunsch? Da blitzen die Augen: „Gerne würde ich mal eine Kreuzfahrt nach Alaska machen oder eine Zugreise durch Indien!“ Sie strahlt. „Doch ich vermute, das sind Träume für das Rentendasein.“
Nürnberger Zeitung, 18.04.2011 / Anabel Schaffer
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