Am 25. Januar hat sich der Beginn der Revolution in Ägypten gejährt. Mit dem Sturz des Diktators Mubarak und der Transformation des Landes ist der Anfang gemacht.
Im bevölkerungsreichsten und politisch traditionell wichtigsten Land Arabiens haben die Menschen gezeigt, dass sie für ihre Rechte aufstehen. Nach dem Ende überkommender Regime werden nun gewählte Islamisten in Ägypten und Tunesien maßgeblich an neuen Verfassungen mitschreiben; sie werden eine neue Außenpolitik formulieren.
Die Revolution hat in den verkrusteten arabischen Gesellschaften viel in Bewegung gesetzt. Doch das ist erst der Anfang, und es wird Rückschläge geben. Es ist die Heldengeschichte der Jugend, die ihre Angst und Apathie abschütteln und für ihre Freiheit kämpfte. Sie kann jederzeit wieder einen Wutanfall bekommen.
Bisher sind diejenigen, die vor einem Jahr die Tahrir-Revolution losgetreten hatten, jedoch schwach: Die „jungen Revolutionäre“ und Facebook-Aktivisten haben zwei Prozent der Stimmen bekommen. Die wahren Revolutionäre sind im Hohen Haus eine Minderheit – wie auch die Frauen. Während der Proteste, die seit einem guten Jahr die arabische Welt erschüttern, spielten Frauen eine wichtige Rolle.
Das ägyptische Verfassungsgremium, das nach dem Sturz von Mubarak eingesetzt wurde, blieb jedoch frauenlos. Und auch im gerade gewählten ägyptischen Parlament lassen sich die Frauen an einer Hand abzählen. Ich bin unzufrieden mit der Rolle der Frauen im neuen politischen Ägypten. Viele Frauen in Ägypten sind arm, ungebildet und müssen hart arbeiten, um ihre Familien durchzubringen. Unter Frauenrechtlerinnen gelten die Salafisten, die neben den Muslimbrüdern gut 20 Prozent der Stimmen errungen haben, als eine große Bedrohung der Frauenrechte; sie hatten vor der Wahl etwa das Frauenrecht als unislamisch bezeichnet.
Die Nour-Partei beispielsweise wurde erst nach der Revolution gegründet; sie folgt buchstabengetreu einem Islam ähnlich dem der saudischen Wahhabiten und fordert die Einführung der Scharia. Mit ihrer erdrückenden Mehrheit werden die Islamisten also versuchen, der Verfassung einen religiösen Stempel aufzudrücken. Die Muslimbrüder, die sich in Modernisten und Betonköpfe spalten, gelten als gemäßigt-fundamentalistische Konservative. Deren Kandidaten hatten 235 der 508 Sitze errungen; nun haben sie sich öffentlich zu der konsensorientierten Zusammenarbeit mit allen politischen Lagern verpflichtet.
Und auch wenn die Entwicklung Ägyptens im Dunkeln liegt, so wissen Islamisten und Militärs doch, dass sie nicht so unumschränkt herrschen können wie einst Mubarak.
Die arabische Revolution hat weit über Ägypten und Tunesien hinaus ausgestrahlt: Sogar ein so mächtiger Diktator wie Libyens Gaddafi wurde gestürzt, Syriens Assad steht vor dem Fall, Jemens Saleh hat gerade das Land verlassen.
Aufgabe des Unterhauses – das Oberhaus wird noch gewählt – wird die neue Verfassung sein. Ein hundertköpfiges Parlamentarier-Komitee soll sie schreiben.
Die Europäer müssen lernen, dass sie mit ihrem Ideal der Trennung von Religion und Staat weltweit nur eine Minderheit sind. Wir dürfen Vertreter eines traditionellen Islam nicht reflexartig als intolerant verurteilen. Wir müssen darauf hinwirken, dass Demokratie nicht nur Herrschaft der Mehrheit ist, sondern auch anderer Prinzipien wie der Meinungsfreiheit bedarf. Es ist zu befürchten, dass die neuen Regierenden der Freiheit von Künstlern, Frauen, Christen oder Homosexuellen religiöse Grenzen setzen wollen. Das müssen wir nicht hinnehmen. Wir sollten aber die neuen Machtverhältnisse akzeptieren und auf die Muslimbrüder zugehen. Ihre Erfolge sind durch Wahlen legitimiert. Nur auf diese Weise können wir Europäer und die Amerikaner glaubwürdig bleiben, wenn sie dort auf Freiheit und Demokratie drängen.
Schließlich wissen auch die neuen Regierungen in Kairo und Tunis, dass sie auf den Westen angewiesen sind, wenn sie ihr dringendstes Problem in den Griff bekommen wollen: eine am Boden liegende Wirtschaft mit zunehmender (Jugend-) Arbeitslosigkeit. Sie haben kein Erdöl, um außenpolitische Unnachgiebigkeit zu finanzieren und sie sind auf den Tourismus angewiesen. Die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten waren eine wichtige Quelle der arabischen Wut.
Revolutionen verlaufen nicht linear. Es geht also nicht stetig vorwärts oder bergauf.
Nachdem die ersten Wellen der Euphorie abgeebbt sind, folgen nicht täglich neue Glücksmomente. In einer solchen Durststrecke, einem solchen Plateau, bevor es wieder entscheidende und neue Impulse durch die Verfassungsgebende Versammlung geben wird, befinden sich nach meiner Einschätzung momentan Ägypten und Tunesien.
Was die Menschen jetzt benötigen ist eine revolutionäre Geduld.
„Ägypten braucht jetzt revolutionäre Geduld“
Keynote Speech von Dagmar G. Wöhrl, MdB
13.09.2011, Cairo, Zamalek
Veranstaltung der KAS Ägypten „Economic Reform and Social Justice: Egyptian-German Experiences“
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