Die letzten Jahre, Monate und Wochen der sogenannten „Griechenland-Rettung“ haben keinen Bundestagsabgeordneten kalt gelassen und unabhängig davon, wie man nun zu dem weiteren Vorgehen steht, macht sich keiner meiner Kolleginnen und Kollegen diese Entscheidung leicht. Auch ich habe mit mir gerungen und die Pro- und Contra-Argumente wieder und wieder abgewogen.
Letztlich überwiegen für mich dennoch die juristischen und volkswirtschaftlichen Argumente, die gegen ein drittes Hilfspaket für Griechenland sprechen. Deshalb werde ich mit „Nein“ stimmen. Nicht das Ausscheiden eines Landes wie Griechenland gefährdet die Währungsunion, sondern dessen Verbleib um jeden Preis. Niemand will die Verantwortung für mögliche Folgen tragen. Aber genau darin liegt die eigentliche Gefahr für den Euro, die Europäische Union und Europa als Friedensprojekt insgesamt. Manchmal ist es besser auf einem falschen Weg umzukehren, als ihn stur weiter zu verfolgen.
Nachstehend möchte ich einige Beweggründe für meine Entscheidung näher erklären:
Die Gründe, die in meinen Augen gegen ein drittes Hilfspaket sprechen, sind zu gewichtig, um sie zu ignorieren. Artikel 12 des ESM-Vertrages regelt klar, dass Finanzhilfen nur gewährt werden dürfen, “wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedsstaaten unabdingbar ist.” Voraussetzung für ein Einschreiten des ESM ist die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für den gesamten Euroraum. Diese Gefahr besteht im Falle Griechenlands nicht! Von Griechenland geht kein ernstes Risiko mehr für die Finanzmärkte und die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum aus, da Griechenland nicht länger systemrelevant für den Euro ist. Inzwischen wurden Schutzmechanismen aufgebaut, wie zum Beispiel der Stabilitätspakt oder die Bankenunion. Die gelassene Reaktion der Märkte hat dies in den letzten Monaten bestätigt.
Eine weitere Bedingung für Hilfen aus dem ESM ist die Schuldentragfähigkeit des Empfängerlandes. Eine echte Erholung der griechischen Wirtschaft – welche die zentrale Voraussetzung für die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist – sehe ich für die nächste Zeit aber nicht. Neueste Prognosen gehen für 2015 von einem Rückgang des griechischen BIP von über 2% aus, für 2016 um 1,3%. Erst für 2017 wird Wachstum in Griechenland erwartet. Ich habe darum große Zweifel an der Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Der Primärüberschuss soll dann in 2017 bei 1,75% liegen. Um dies zu erreichen, müsste die griechische Wirtschaft um mindestens 2,3% wachsen. Aber auch dies reicht alles nicht, um den Schuldenberg abzubauen. Eine Schuldentragfähigkeit Griechenlands besteht schlichtweg nicht.
Der IWF wird erst im Oktober über seine Beteiligung an einem dritten Hilfspaket entscheiden. Diese Beteiligung war immer conditio-sine-qua-non, also eine Grundvoraussetzung. Wenn sich der IWF nicht wie geplant mit den 16 Mrd. Euro einbringt, bedeutet dies ebenfalls, dass der deutsche Beitrag sich noch weiter erhöhen wird. Das heißt, eine Entscheidung soll im Bundestag fallen, ohne dass der IWF sicher an Bord bleibt. Ein Schuldenerlass, den der IWF zur Bedingung für eine Beteiligung am dritten Hilfspaket macht, ist rechtlich nicht möglich, da dies ein Verstoß gegen Art. 125 AEUV wäre (Bail-out-Verbot). Der letzte Vorschlag des IWF geht davon aus, einen Rückzahlungsaufschub von 20 Jahren zu gewähren und eine Tilgung innerhalb von 40 Jahren, d.h. berücksichtigt man den bisher bereits gewährten Zahlungsaufschub, wären dann erst ab 2075 alle Schulden vollständig zurückgezahlt. Wenn man ehrlich ist, handelt es sich hier um einen versteckten Schuldenschnitt zu Lasten unserer Kinder und Enkel.
Für besonders problematisch halte ich auch den Umstand, dass wichtige Reformmaßnahmen noch gar nicht implementiert, nicht mal abschließend spezifiziert sind. Die Umsetzung vieler Maßnahmen ist erst für Oktober und November vorgesehen. Entscheidend ist aber in meinen Augen auch nicht nur, ob Reformen verabschiedet werden, sondern ob sie tatsächlich umgesetzt werden. Dies ist in der Vergangenheit mit einer gewissen Verlässlichkeit gerade nicht geschehen.
Zur Umsetzung von Reformen ist eine effiziente Verwaltung nötig. Diese ist derzeitig nicht in Griechenland vorhanden. Es liegt auch noch keine mittelfristige solide Haushaltsplanung der griechischen Regierung vor. Nicht nur bei der Rentenreform scheint die griechische Regierung bei der schrittweise geplanten Umsetzung wieder auf die Bremse zu treten. Unter viele zentrale Punkte des neuen Programms lässt sich somit noch kein Schlussstrich ziehen. Ich sehe hier wieder die bekannte Verzögerungstaktik. Der durch die erwarteten Neuwahlen bevorstehende Wahlkampf wird die griechischen Politiker sicherlich nicht ermutigen, schnell und präzise weitere Sparmaßnahmen zu beschließen. Eine wochenlange Blockade der parlamentarischen Arbeit droht. Zeit, die Griechenland nicht mehr hat.
Geplante Privatisierungserlöse von 50 Mrd. Euro halte ich in keinem Fall für realistisch. Neueste Zahlen gehen nur noch von 6,3 Mrd. Euro bis 2017 aus. Diese große entstehende Lücke stellt das ganze Konstrukt des dritten Hilfsprogramms in Frage.
In einer aktuellen Umfrage von Juli haben 23 % der griechischen Unternehmen angegeben, dass sie eine Verlegung ihres Hauptquartiers ins Ausland vorhaben, um mehr Planungssicherheit zu bekommen. Das zeigt sehr deutlich, wie stark die Zweifel in der griechischen Wirtschaft gegenüber der wirklichen Umsetzung der Reformen durch die griechische Regierung und der davon zu erwartenden Wettbewerbsfähigkeit des Landes in den nächsten Jahren sind.
Am Ende dieses Kurses deutet sich nicht die Erholung Griechenlands an, sondern ein viertes Hilfsprogramm. Wir müssen Griechenland und seinen Menschen helfen, das ist meine feste Überzeugung. Wir werden die griechische Bevölkerung aber nur durch Investitionen langfristig unterstützten können. Das dritte Hilfspaket ist ein Sammelsurium an Maßnahmen zur Schuldentilgung, aber kein Pakt für die Zukunft Griechenlands und seiner Menschen.
Der selbstzerstörerische Kurs der Syriza-Regierung hat in den letzten Monaten zu einer Renaissance von nationalen oder gar nationalistischen Interessen in der europäischen Politik geführt. Nach meiner festen Überzeugung wäre allerdings genau das Gegenteil nötig: Mehr Europa wagen! Die Problemkreise werden globaler und die Zusammenhänge immer unübersichtlicher. Wenn ich an die Terroristen von IS, die weltweiten Flüchtlingsströme, die Russland-Ukraine-Problematik, aber auch an Entwicklungen, wie die Digitalisierung oder den Wettkampf um Innovationen denke, kann kein Land in Europa diese Probleme und Herausforderungen alleine lösen.
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