Angesichts Zehntausender syrischer Flüchtlinge, die in der Türkei vor dem Vorrücken der radikalen Miliz „Islamischer Staat“ (IS) Schutz suchen, haben die Fraktionen im Bundestag die Türkei aufgefordert, ihre Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen. Zugleich sicherten sie dem syrischen Nachbarstaat am Donnerstag, 25. September 2014, in einer auf Verlangen der Linksfraktion anberaumten Aktuellen Stunde ihre Unterstützung bei der Bewältigung der Lage zu.
Angesichts Zehntausender syrischer Flüchtlinge, die in der Türkei vor dem Vorrücken der radikalen Miliz „Islamischer Staat“ (IS) Schutz suchen, haben die Fraktionen im Bundestag die Türkei aufgefordert, ihre Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen. Zugleich sicherten sie dem syrischen Nachbarstaat am Donnerstag, 25. September 2014, in einer auf Verlangen der Linksfraktion anberaumten Aktuellen Stunde ihre Unterstützung bei der Bewältigung der Lage zu.
Grüne fordern humanitäre Offensive
Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, es sei „unbedingt notwendig“, dass die Grenzen der Nachbarländer für Schutzsuchende offen bleiben. Deutschland und die Europäische Union müssten selbst aber auch weitere Flüchtlinge aufnehmen. Zwar habe Deutschland seit 2011 bereits 20.000 syrischen Flüchtlingen Schutz geboten, „mehr als alle anderen EU-Länder“. Doch sei dies „nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Roth.
Sie sprach mit Blick auf die Lage in Syrien von einem „Exodus“ und einer Vertreibung „biblischen Ausmaßes“. Die Infrastruktur in den von den Flüchtlingsströmen am meisten betroffenen Ländern drohe zu kollabieren. Sie forderte eine langfristig angelegte „humanitäre Offensive“, um das Überleben der Flüchtlinge zu sichern.
Linke: Militärisches Vorgehen ist keine Lösung
Massive Vorwürfe gegen die türkische Regierung erhob Heike Hänsel (Die Linke). Sie selbst sei vor einigen Tage vor Ort gewesen und habe gesehen, wie Familien mit Kindern auf syrischer Seite vor verschlossenen türkischen Stacheldrahtzäunen gesessen hätten. Die Dorfbevölkerung auf der türkischen Seite, die habe helfen wollen, sei von türkischen Sicherheitskräften mit Tränengas beschossen worden.
„Wer vor Ort ist, bekommt ein ganz anderes Bild, als hier in den Medien vermittelt wird“, sagte Hänsel. Dies gelte auch für die große Zahl von Flüchtlingen, die angeblich über die Grenze gekommen seien. „Ich habe sie nicht gesehen“, so die Linke-Abgeordnete. Ihr Eindruck: Es gebe zweifellos sehr viele Flüchtlinge, aber nicht alle würden über die Grenze gelassen. „Das ist in dieser Situation schlichtweg kriminell.“
Der türkischen Regierung warf sie zudem vor, eine „Unterstützungspolitik für den IS“ zu betreiben, etwa indem sie Öl von IS ankaufe oder verwundeten Kämpfern Behandlungen in türkischen Krankenhäusern ermögliche. Die Bundesregierung betreibe eine „Politik des organisierten Wegschauens“, treibe „ausgerechnet jetzt“ die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei voran. Hänsel machte auch klar, dass ihre Fraktion die US-Bombardierungen auf IS-Stellungen in Syrien und im Nordirak ablehnt. Militärisches Vorgehen sei keine Lösung, sondern verursache nur neue Opfer und neue Fluchtbewegungen, argumentierte sie.
SPD: Staatlichkeit durch breite politische Allianz stärken
Widerspruch gegen Hänsels Ausführungen kam unter anderem von Niels Annen, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion. Bei aller berechtigten Kritik an der Türkei sei es gerade jetzt richtig, mit der türkischen Regierung im Gespräch zu bleiben. „Wir brauchen die Türkei als Teil eines regionalen Bündnisses“, betonte er.
Hänsels Vorwurf, dass das Land IS unterstütze, bezeichnete Annen als Unterstellung ohne Unterlegung von Fakten. Gleichwohl kritisierte auch er, dass in den vergangenen Monaten bestimmte Teile der Grenze zu weit offen gestanden hätten, während andere Teile hätten geöffnet werden müssen.
Annen versicherte, die Bundesregierung werde den Flüchtlingen nicht nur aus humanitären Gründen helfen, sondern auch, weil diese Hilfe Teil einer politischen Antwort auf den Krieg von IS sei. Die Terrormiliz wolle ihre Ideologie durch weitflächige Vertreibungen durchsetzen, die Stabilität in der Region erschüttern und ihren eigenen Machtbereich ausweiten. Deshalb sei es wichtig, die Staatlichkeit in der Region durch eine breite politische Allianz zu stärken. So unterstütze die Bundesregierung unter anderem die neue Einheitsregierung in Bagdad.
CDU/CSU: Die Wurzeln des Übels angehen
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) warf Heike Hänsel vor, die Aktuelle Stunde „billig“ für die „wohlbekannte Kritik“ der Linksfraktion an der Türkei zu instrumentalisieren. Der CSU-Abgeordnete Bernd Fabritius ergänzte, die Türkei habe für die Aufnahme der Flüchtlinge „große Anerkennung“ verdient.
Angesichts der Forderungen nach der Aufnahme von weiteren Flüchtlingen in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten gab er aber zu bedenken: „Jeder Euro Hilfe vor Ort erreicht mehr Menschen als eine Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland.“ Oberstes Ziel müsse es sein, die „Wurzeln des Übels“ anzugehen: das Krisengebiet zu befrieden und IS einzudämmen, damit die Flüchtlinge wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können.
Fabritius‘ Fraktionskollegin Dagmar Wöhrl machte zudem klar: „Ohne militärisches Eingreifen, kann die Welt der Lage nicht Herr werden.“ Hier dürfe man nicht naiv sein, sagte die Vorsitzende des Entwicklungsausschusses mit Blick auf die Linksfraktion. Ergänzt werden müsse das militärische Vorgehen aber durch politisches Handeln und humanitäre Hilfe. Wöhrl begrüßte die Ankündigung des türkischen Präsidenten Erdoğan, dass sein Land die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen IS unterstützen wolle.
“Mittel für humanitäre Hilfe erhöhen”
Einig waren sich alle Redner der Aktuellen Stunde darin, dass die Mittel für humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amtes angesichts der Lage deutlich erhöht werden müssen. Bisher ist für das Haushaltsjahr eine Kürzung um 38 Prozent vorgesehen.
„Wir setzen uns für eine Ausweitung ein“ sicherte Gabriela Heinrich (SPD) zu, und auch Dagmar Wöhrl betonte, nicht nur die Soforthilfen würden aufgestockt, sondern es werde auch einen Nachtragshaushalt für das Auswärtige Amt geben. „Die Not zwingt uns dazu“, so die CSU-Politikerin. (joh/25.09.2014)
Quelle: Textarchiv des Deutschen Bundestages
www.bundestag.de
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