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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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So geht das nicht – Warum ich mich bei der Abstimmung über das Leistungsschutzrecht enthalten werde

Wir alle müssen jeden Tag schwierige Entscheidungen treffen: sei es als Eltern, sei es als Unter- oder Arbeitnehmer oder sei es als Bundestagsabgeordnete. Meistens sind diese großen und kleinen Fragen des Lebens „entweder-oder“-Entscheidungen: Ja, ich mache dies oder jenes. Nein, dies geht nun aber wirklich nicht. Wir Parlamentarier haben eine weitere Möglichkeit uns zu entscheiden: Wir können uns enthalten.

Dies mag auf den ersten Blick wie eine Mogelpackung aussehen, denn sich bei einer Entscheidung zu enthalten, könnte ja heißen sich nicht zu entscheiden. Das mag manchmal auch so sein. Aufgrund des Abstimmungssystems im Deutschen Bundestag wirken Enthaltungen allerdings häufig wie Gegenstimmen. Und manchmal kann man sich auch ganz bewusst für eine Enthaltung entscheiden. So liegt es bei mir im Falle des Leistungsschutzrechtes. Es gibt zwei Gründe, warum ich mich enthalten werde, die ich nachstehend erläutern möchte.
Zum einen habe ich von Anfang an meine Bedenken gegenüber dem geplanten Leistungsschutzrecht für Presseverlage geäußert. Bis heute konnten meine Zweifel nicht vollständig beseitigt werden, dass dem Verlagswesen mit diesem Gesetz nicht eher ein Bärendienst erwiesen als Unterstützung gewährt wird.

Zunächst hatte ich mich dafür eingesetzt, dass Blogger und private Nutzer auf keinen Fall in den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts fallen. Dieser Teil wurde schließlich bekanntermaßen auch geändert, aber ob dies auch den gewünschten Schutz gewährt, wird weiter angezweifelt. Danach war relativ lange Funkstille, bis es dann auf einmal in dieser Woche mit der Entscheidung ganz schnell gehen sollte. Bei einem Vorhaben, bei dem wir nicht unter Zeitdruck stehen und über das wir schon seit Monaten kontrovers diskutieren, kann ich diese abrupte Tempobeschleunigung nicht nachvollziehen.

Weiterhin kam es nun in dieser „Woche des Leistungsschutzrechts-High-Noons“ zu weitgehenden Änderungen des Gesetzes, die ich einerseits begrüße, die mich andererseits auch nachdenklich gestimmt haben, warum wir dieses Gesetz in der neuesten schnellen Fassung denn wirklich brauchen. Mit dem Gesetz sollte ursprünglich jede gewerbliche Nutzung von Presseerzeugnissen im Internet lizenzpflichtig sein. Nun dürfen Internet-Suchmaschinen „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ von fremden Medien-Inhalten auch ohne eine Lizenz verwenden. Eine konkrete Textlänge, die künftig lizenzfrei von Suchmaschinen und News-Aggregatoren zitiert werden darf, wird in der neuen Regelung allerdings nicht genannt. Dies schreit geradezu nach einem Fall für die Rechtsprechung. Entweder regeln wir es so, dass es bestimmt genug ist, um danach auch effektiv eingesetzt werden zu können oder wir können es auch einfach lassen. Summa summarum kann ich mich mit dem Gesetz weder inhaltlich noch handwerklich identifizieren.

Der zweite Grund, warum ich mich bei der Abstimmung des Leistungsschutzrechtes enthalten werde, ist, dass in diesem besonderen Fall der Lobbyismus von allen Seiten schlichtweg überhandgenommen hat. Ich möchte Lobbyismus hier nicht per se verteufeln und erachte es auch als legitim, dass sich Interessensgruppen bemühen, uns Abgeordnete mit Informationen, die wir zweifelsohne als Grundlage für unsere Entscheidung benötigen, zu versorgen. Aber beim Leistungsschutzrecht war die versuchte Einflussnahme derart penetrant, dass ich meinen Terminkalender auch nur mit Gesprächen über die Vor- und Nachteile des Leistungsschutzrechtes in den letzten Monaten hätte füllen können. Meine Enthaltung soll deshalb auch ein Zeichen gegen den betriebenen Lobbyismus und die versuchte Einflussnahme sein. Ich lasse mich weder von der einen, noch von der anderen Seite bedrängen. Am Ende des Tages entscheide ich für mich persönlich und als verantwortungsvolle Politikerin. Ich entscheide so, dass ich es mit meinem Gewissen, meinen Grundwerten und meinen Überzeugungen vereinbaren kann.

Ich habe mir meine Entscheidung nicht leicht gemacht und habe in den letzten Tagen und in der wenigen Zeit, die mir am Ende blieb, noch einmal intensiv recherchiert, Gutachten gelesen und abgewogen. Auch wenn ich die Debatte für notwendig erachte und Verständnis für die unterschiedlichen Positionen und Interessen habe, kann ich das Leistungsschutzrecht nicht vertreten und den darum betriebenen Lobbyismus will ich nicht unterstützen – weder als Bundestagsabgeordnete, noch als Juristin und schon gar nicht als Silver Surferin!

Deshalb enthalte ich mich, und zwar ganz bewusst.

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24 Responses to So geht das nicht – Warum ich mich bei der Abstimmung über das Leistungsschutzrecht enthalten werde

  1. jansalterego 7. März 2013 at 16:49 #

    Oha. Frau Wöhrl bezieht doch hier Stellung – und zwar für eine Unionspolitikerin recht deutlich. Und hätten sich mehr Ihrer Fraktions- und Koalitionskollegen zum gleichen Schritt entscheiden, wäre das Gesetz nicht angenommen worden. Mir ist jede faktische Gegenstimme, auch wenn sie als Enthaltung daherkommt, allemal lieber als sklavische Fraktionsdisziplin. Und wenn man, wie hier geschehen, einen Beitrag zum Versuch leistet, das LSR zu verhindern, habe ich recht viel Verständnis dafür, das mildere Mittel gleicher Wirksamkeit zu wählen.

  2. Moon 1. März 2013 at 10:51 #

    Man muss weder Fachpolitiker noch Jurist sein, um zu erkennen, dass das Gesetz handwerklich gröbster Pfusch ist, der sowohl Abmahnabzocker als auch Gerichte auf Jahre beschäftigen wird.

    Daher ist es quasi Pflicht, dagegen zu stimmen.

  3. Melebert 1. März 2013 at 08:52 #

    So sehr ich es mag, dass Abgeordnete auch mal begründen, warum sie sich zu einer bestimmten Entscheidung durchgerungen habe, muss ich Sie, Frau Wöhrl, auf logische Widersprüche in ihrer Entscheidungsfindung hinweisen. Sie selbst schreiben, dass sie weder von der Sinnhaftigkeit des Gesetzes, noch von der handwerklichen Durchführung überzeugt sind. Sie schreiben auch, dass zeitlicher Druck ohne ersichtliche Notwendigkeit aufgebaut wird und Änderungen kurz vor der Verabschiedung in den Gesetzentwurf eingebracht wurden, ohne dass deren Wirkung ausreichend ausgeleuchtet werden kann. Dies sind alles Gründe, um das Gesetzt in der Form und dieser Durchführung abzulehnen. Diese Gründe werden von Ihnen auch ohne Wenn und Aber erläutert. Sie nennen aber keinen einzigen Grund, warum sie nicht Ablehnen und sich nur der Stimme enthalten wollen. Wer so unzufrieden mit einem Gesetzentwurf ist, sollte auch dazu stehen können.

    Es würde das Verständnis Ihrer Entscheidung erhöhen, wenn sie erläutern, warum Sie zur Erkenntnis kommen, den Gesetzentwurf nicht einfach abzulehnen. Was hindert Sie den daran? Sie als Abgeordnete sind doch einzig ihrem Gewissen und ihren Wählern gegenüber verantwortlich, oder?

    Mit freundlichen Grüßen
    Melebert

  4. Eberhard Huber 1. März 2013 at 07:15 #

    Sehr geehrte Frau Wöhrl,
    vielen Dank für diesen Beitrag. Ihre Offenheit bzgl. des überbordenden Lobbyismus hat mich besonders beeindruckt, viele Grüße Eberhard Huber

  5. Markus 28. Februar 2013 at 21:32 #

    Sich zu enthalten ist wie als Wähler(in) nicht zur Wahl zu gehen. Danke für Ihren Einsatz für die Bürger.

  6. Michael 28. Februar 2013 at 21:05 #

    Erstmal Respekt dafür, das Sie für diesen Wahnsinn nicht stimmen wollen, Frau Wöhrl

    Noch mehr Respekt hätte ich allerdings, wenn sie dagen stimmen würden – nachdem sie doch schon erkannt haben, das es sich um ein schädliches Gesetz handelt?

  7. JJ Preston 28. Februar 2013 at 18:46 #

    Liebe Frau Wöhrl,
    ich schließe mich den anderen Kommentatoren an: Wenn Sie ein Gesetz für Murks befinden, dann müssen Sie es ablehnen.

    Die Enthaltung ist eine billige Schmalspurposition: Beiden Seiten können sagen, Sie hätten sich nicht für die Gegenseite entschieden. Der jämmerliche Versuch, nicht für die eine Seite zum Pharisäer oder für die andere Seite zum Judas zu werden, macht Sie aber dummerweise genau zu beidem.

    Wenn Sie Rückgrat haben, stimmen Sie dagegen. Vor allem als Fachpoilitikerin!

  8. DerBene 28. Februar 2013 at 15:58 #

    Sehr geehrte Frau Wöhrl,

    ihren zweit genannten Beweggrund kann ich nachvollziehen. Andererseits gibt es, zumindest aus meiner Sicht, mehr als genügend vernünftige Gründe die gegen dieses LSR sprechen. Sie scheinen, ihrem ersten Argument zufolge, ja auch selbst nach eigener Recherche erhebliche Bedenken zu haben.
    Ich vermute daher eher, dass Sie sich nicht gegen Ihre Fraktion stellen wollen, weil dies womöglich als Affront gelten würde?

    Wenn Sie das Gesetz ablehnen, dann … nunja, lehnen Sie es bitte ab ;)

    Schöne Grüße aus Oberbayern!

  9. Niedermeyer 28. Februar 2013 at 13:28 #

    Ich wundere mich, dass andere Kommentare freigegeben werden und meiner auf Freischaltung wartet.

    • TBartels 28. Februar 2013 at 20:38 #

      @niedermeyer. Alle Kommentare zu dieser Veröffentlichung sind veröffentlicht. Haben Sie einen dritten geschrieben?

  10. Michael 28. Februar 2013 at 11:21 #

    So ein Entwurf wie das LSR kann man logischerweise nur ablehnen, wenn man gegen Lobbyarbeit, besonders in diesem Umfang, ist.
    Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die Versäumnisse der Verlage auszubügeln.

  11. Niedermeyer 28. Februar 2013 at 11:03 #

    Bei allem Verständnis für Ihre Argumente, aber falls man zu dem Ergebnis kommt, dass das Gesetz handwerklicher Pfusch ist, dann MUSS man es ablehnen.

    Enthaltungen zählen nicht und sind der feige Versuch sich vor der Verantwortung zu drücken.Enthaltungen sind keine Option für jemanden, der eine Meinung hat.

    Ringen Sie sich bitte durch und stimmen Sie dagegen oder meinetwegen auch dafür, aber tun Sie Ihre Arbeit und entscheiden Sie sich.

  12. Frank 28. Februar 2013 at 10:39 #

    Ein Funken Wahrheit ist immer irgendwo zu finden und so sehr auch das LSR falsch ist, gibt es doch den Punkt, dass man sich vor der Ausplünderung der globalen (amerikanischen) Internetfirmen schützen muss.

    Die Verlage sind selbst schuld, sie haben im Internet das wichtigste Ihrer Arbeit verschenkt, den Inhalt, und haben geglaubt, sie könnten mit dem Verkauf von bedrucktem Papier weiter gut leben. Jetzt soll der Gesetzgeber das ganz eigene Missmanagement richten… und zwar in einer Form, die nur den großen Presseverlagen nützen soll und der gesamten Internetwirtschaft enorm schaden kann… ja vielleicht sogar der Demokratie, weil es gefährlich wird, Wortlaute wieder zu geben.

    Auch wenn Google mehr oder weniger raus ist aus dem Focus, darf man davon ausgehen, dass es noch andere Vorteile dieses Gesetzes für die Verlage gibt. Und wenn es nur dazu dient, sich die Konkurrenz vom Halse zu halten.
    Wollen wir aber das, Monopol-Presse in Deutschland? Reichen nicht schon Monopol-Suchmaschinen, -Communities und -Shops aus dem Ausland?

    Und wenn uns die Erfahrung aus Deutschland eines lehrt: Erst wird ein kleines Gesetz gemacht mit dem man leben könnte, dann kommen die Begehrlichkeiten und die Nachforderungen.
    Das ist wie die Büchse der Pandora öffnen.

  13. AH 28. Februar 2013 at 10:35 #

    “Ich lasse mich weder von der einen, noch von der anderen Seite bedrängen.”

    Sie sind Volksvertreterin und wenn Ihre Wähler Sie “bedrängen” (z.B. in Form von Unterschriftenaktionen), dann sollten Sie auf diese vielleicht ein bisschen mehr hören als auf Herrn Döpfner – der ist nämlich nur ein Wähler und nichtmal aus Ihrem Wahlkreis.

  14. AndreasP 28. Februar 2013 at 10:12 #

    “Ich entscheide so, dass ich es mit meinem Gewissen, meinen Grundwerten und meinen Überzeugungen vereinbaren kann.”

    Also gar nicht? Sorry, aber eine Enthaltung ist und bleibt eine Mogelpackung. Ein derart dummes Gesetz schreit nach einem Nein.

  15. DerDirk 28. Februar 2013 at 09:54 #

    GANZ TOLL!!!
    Das nenne ich doch mal wirklich Vorbildlich!!!!
    Ich frage mich wie sich Ihr Wahlkreis fühlt, wenn die vom Wahlkreis gesendet Vertreterin sich enthält statt Stellung zu nehmen.
    Entweder können sie das Gesetz, so wie es jetzt beschlossen werden soll, vertreten oder nicht.

    Wie stehen SIE eigentlich zu den Nichtwählern?
    Diese enthalten sich ja auch “nur” der Stimme.
    Sie dürfen sich also nicht mehr über die Nichtwähler beschweren.
    Für MICH ist Ihre Entscheidung ein Armutszeugnis.
    Was ich Ihnen aber trotzdem anrechne das sie öffentlich ihr Verhalten versuchen zu erklären.
    Mfg
    Dirk

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