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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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„Wenn aus Sterbehilfe Lebenshilfe wird“ Rede anlässlich der Orientierungsdebatte zum Thema Sterbebegleitung am 14.11.2014 im Deutschen Bundestag

Bei der Debatte über das Thema Sterbehilfe gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das Wertvollste an der Diskussion heute aber ist, dass sie stattfindet. Dass wir anfangen über elementare Fragen zwischen Leben und Tod zu sprechen. Dass wir beginnen Parameter abzustecken, zwischen juristischen, medizinischen, philosophischen, theologischen, ethischen Fragen. Ruhig, sachlich, nachdenklich, aber nicht ideologisch oder gar parteipolitisch.

Unser Grundgesetz gibt es vor: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Daraus leiten wir ab, dass wir ein selbstbestimmtes Leben führen können müssen. Daraus muss sich aber auch ableiten lassen, dass man selbstbestimmt sterben darf.

Dies jedoch nicht um jeden Preis. Wir dürfen keine Ökonomisierung des Sterbens in Deutschland zulassen, d.h. ein an den Maßstäben der Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnmaximierung orientierter Markt für Suizidbeihilfeleistungen darf nicht entstehen. Deshalb lehne ich persönlich gewerbliche und organisierte Unterstützung zum Suizid ab. Eine Hilfestellung bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung sollte nur auf der Grundlage ärztlicher Fachkenntnis und in medizinischer Begleitung erfolgen. Nicht sollte die Verantwortung alleine auf enge Angehörige alleine übertragen werden.

Unsere Verantwortung gebietet es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen.

Dazu gehören eine konsequente Inanspruchnahme und Fortentwicklung palliativmedizinischer Möglichkeiten und ein Ausbau des Hospizwesens. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass Menschen besser und länger leben können. Dies ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Zugleich führt die medizinisch ermöglichte Lebensverlängerung zu neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. In den Fällen, in denen auch die Palliativmedizin bei zum sicheren Tod führenden Erkrankungen für den Patienten nicht infrage kommt, leiden schwerstkranke Menschen oftmals eine große Not. Das körperliche und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für die Ärzte eine äußerst belastende Situation dar.

Während die Hilfestellung zum Suizid gesetzlich straflos ist, untersagen einige Ärztekammern in Deutschland jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zur Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten. Menschen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet. Gerade auch durch die zahlreichen Graubereiche, die es im momentanen Regelungskonstrukt gibt.

Derzeit ist es so, dass die 17 Landesärztekammern in Deutschland unterschiedlich in ihrem jeweiligen Standesrecht regeln, ob Ärzte ihren Patienten bei der Selbsttötung assistieren dürfen. Es kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Wege zum Sterben haben. Und erst recht möchten wir einem möglichen „Sterbetourismus innerhalb und außerhalb Deutschlands“ vorbeugen.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Bayerische Landesärztekammer verweisen. In der Berufsordnung für bayerische Ärzte steht, dass sie Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und ihres Willens beizustehen hätten.  Die Unterstützung von Sterbenden führt also nicht zu einem möglichen Berufsverbot. Auf diese Gewissenfreiheit, die bayerische Ärzte genießen sollen sich alle Ärzte in Deutschland berufen können.

Wir haben Regelungen für ein menschenwürdiges Leben.
Wir benötigen aber auch Normen für ein menschenwürdiges Sterben. Eine solche Regelung- wie ich sie mit meinen Kollegen Peter Hintze, Katherina Reiche, Dr. Carola Reimann, Prof. Dr. Karl Lauterbach und Burkhard Lischka vorgestellt habe, sollte es volljährigen und einsichtsfähigen Menschen ermöglichen, die freiwillige Hilfe eines Arztes bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch zu nehmen, wenn feststeht, dass eine unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, der Patient objektiv schwer an einer organischen Krankheit leidet, eine umfassende Beratung des Patienten bezüglich anderer, insbesondere palliativer Behandlungsmöglichkeiten stattgefunden hat und die ärztliche Diagnose von einem anderen Arzt bestätigt wurde.

Bei unserem Entwurf steht also ein umfassendes und lebensbejahendes Gespräch zwischen Patient und Arzt im Mittelpunkt. Die Ermutigung zum Leben sowie eine umfassende Aufklärung über die palliativmedizinischen Möglichkeiten müssen dabei immer Vorrang haben. Allein das sichere Wissen, im Falle einer aussichtslosen Lebenssituation auf die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe zur Beendigung ihres Lebens zurückgreifen zu können, hilft schwer leidenden Menschen, von einer tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abzusehen. 
Aus Sterbehilfe wird somit Lebenshilfe.

Auch wenn wir hier über das Ende der menschlichen Existenz sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass das Leben unser wertvollstes Geschenk ist.

Rede von Dagmar Wöhrl im Bundestag anlässlich der vereinbarten Orientierungsdebatte zum Thema Sterbebegleitung am 14.11.2014 im Deutschen Bundestag.

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