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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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Nein zu Griechenland-Rettung. Griechenland-Abweichlerin: “Mich lässt das nicht kalt – trotzdem stimme ich mit Nein” – FOCUS-Online, 18.08.2015

Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl traut den griechischen Reformplänen nicht. Sie fürchtet einen Schuldenschnitt zu Lasten der nächsten Generation. Deshalb will sie am Mittwoch im Bundestag mit Nein stimmen. Konsequenzen fürchtet die CSU-Frau nicht.

FOCUS Online: Sie gehören zu den Kritikern der Griechenland-Hilfspakete in der Unionsfraktion. Wie werden sie am Mittwoch abstimmen?

Dagmar Wöhrl: Die letzten Jahre, Monate und Wochen der sogenannten „Griechenland-Rettung“ haben keinen Bundestagsabgeordneten kalt gelassen und unabhängig davon, wie man nun zu dem weiteren Vorgehen steht, macht sich keiner meiner Kolleginnen und Kollegen diese Entscheidung leicht. Auch ich habe mit mir gerungen und die Pro- und Contra-Argumente wieder und wieder abgewogen. Letztlich überwiegen für mich dennoch die juristischen und volkswirtschaftlichen Argumente, die gegen ein drittes Hilfspaket für Griechenland sprechen. Deshalb werde ich mit „Nein“ stimmen.

FOCUS Online: Sie fürchten also nicht die Risiken eines Grexit?

Wöhrl: Nicht das Ausscheiden eines Landes wie Griechenland gefährdet die Währungsunion, sondern dessen Verbleib um jeden Preis. Niemand will die Verantwortung für mögliche Folgen tragen. Aber genau darin liegt die eigentliche Gefahr für den Euro, die Europäische Union und Europa als Friedensprojekt insgesamt. Manchmal ist es besser, auf einem falschen Weg umzukehren, als ihn stur weiter zu verfolgen.

FOCUS Online: Fraktionschef Volker Kauder hat deutlich gemacht, dass Abweichler von der Fraktionslinie mit Konsequenzen rechnen müssen. Was sagen Sie dazu? Fühlen Sie sich unter Druck gesetzt?

Wöhrl: Ich verstehe, dass sich Volker Kauder leidenschaftlich für die Geschlossenheit unserer Fraktion einsetzt und in seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender auf die Geschäftsordnung verweist. Festzustellen ist hier aber, dass in unserer Fraktionsordnung die Mittel „Drohung“ und „Amtsentzug“ nicht vorgesehen sind. Ich fühle mich auch weiterhin als Mitglied einer demokratischen Volkspartei, in der anders lautende Meinungen akzeptiert werden sollten. Im Übrigen habe ich nicht die Befürchtung, dass mir der Vorsitz vom Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder meine Mitgliedschaft im Ausschuss für Kultur und Medien entzogen werden.

FOCUS Online: Was stört Sie vor allem an der Griechenland-Rettung, wie sie die Euro-Zone betreibt und die Bundesregierung unterstützt?

Wöhrl: Die Gründe, die in meinen Augen gegen ein drittes Hilfspaket sprechen, sind zu gewichtig, um sie zu ignorieren. Artikel 12 des ESM-Vertrages regelt klar, dass Finanzhilfen nur gewährt werden dürfen, “wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedsstaaten unabdingbar ist”. Voraussetzung für ein Einschreiten des ESM ist die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für den gesamten Euroraum. Diese Gefahr besteht im Falle Griechenlands nicht.

FOCUS Online: Die Folgen der Lehman-Pleite wurden auch unterschätzt…

Wöhrl: Von Griechenland geht kein ernstes Risiko mehr für die Finanzmärkte und die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum aus, da Griechenland nicht länger systemrelevant für den Euro ist. Inzwischen wurden Schutzmechanismen aufgebaut, wie zum Beispiel der Stabilitätspakt oder die Bankenunion. Die gelassene Reaktion der Märkte hat dies in den letzten Monaten bestätigt. Eine weitere Bedingung für Hilfen aus dem ESM ist die Schuldentragfähigkeit des Empfängerlandes.

Eine echte Erholung der griechischen Wirtschaft – welche die zentrale Voraussetzung für die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist – sehe ich für die nächste Zeit aber nicht. Neueste Prognosen gehen für 2015 von einem Rückgang des griechischen Brutto-Inlandprodukts von über zwei Prozent aus, für 2016 um 1,3 Prozent. Erst für 2017 wird Wachstum in Griechenland erwartet. Ich habe darum große Zweifel an der Schuldentragfähigkeit Griechenlands.

FOCUS Online: Als Bedingung für ein drittes Hilfspaket gilt die Teilnahme des Internationalen Währungsfonds. Die Bundesregierung setzt darauf, dass der IWF sich weiter engagiert.

Wöhrl: Der IWF wird erst im Oktober über seine Beteiligung an einem dritten Hilfspaket entscheiden. Diese Beteiligung war immer conditio-sine-qua-non, also eine Grundvoraussetzung. Wenn sich der IWF nicht wie geplant mit den 16 Milliarden Euro einbringt, bedeutet dies, dass der deutsche Beitrag sich noch weiter erhöhen wird. Das heißt, eine Entscheidung soll im Bundestag fallen, ohne dass der IWF sicher an Bord bleibt.

FOCUS Online: Rechnen Sie mit einem Schuldenschnitt, um den IWF an Bord zu bringen?

Wöhrl: Ein Schuldenerlass, den der IWF zur Bedingung für eine Beteiligung am dritten Hilfspaket macht, ist rechtlich nicht möglich, da dies ein Verstoß gegen das so genannte Bail-out-Verbot wäre. Der letzte Vorschlag des IWF geht davon aus, einen Rückzahlungsaufschub von 20 Jahren zu gewähren und eine Tilgung innerhalb von 40 Jahren. Das heißt: Berücksichtigt man den bisher bereits gewährten Zahlungsaufschub, wären dann erst ab 2075 alle Schulden vollständig zurückgezahlt.

FOCUS Online: Allerdings scheint die griechische Regierung dieses Mal zu ernsthaften Reformen bereit. Wäre da nicht Unterstützung angezeigt?

Wöhrl: Für besonders problematisch halte ich den Umstand, dass wichtige Reformmaßnahmen noch gar nicht implementiert, nicht mal abschließend spezifiziert sind. Die Umsetzung vieler Maßnahmen ist erst für Oktober und November vorgesehen. Entscheidend ist aber in meinen Augen nicht, ob Reformen verabschiedet werden, sondern ob sie tatsächlich umgesetzt werden. Dies ist in der Vergangenheit mit einer gewissen Verlässlichkeit gerade nicht geschehen.

FOCUS Online: Also ist das Vertrauen der Geber-Staaten in die griechische Reformeinsicht blauäugig?

Wöhrl: Zur Umsetzung von Reformen ist eine effiziente Verwaltung nötig. Diese ist derzeitig nicht in Griechenland vorhanden. Es liegt auch noch keine mittelfristige solide Haushaltsplanung der griechischen Regierung vor. Bei der Rentenreform oder bei Liberalisierungen scheint die griechische Regierung bei der schrittweise geplanten Umsetzung wieder auf die Bremse zu treten. Unter viele zentrale Punkte des neuen Programms lässt sich noch kein Schlussstrich ziehen. Ich sehe hier wieder die bekannte Verzögerungstaktik. Der durch die erwarteten Neuwahlen bevorstehende Wahlkampf wird die griechischen Politiker sicherlich nicht ermutigen, schnell und präzise weitere Sparmaßnahmen zu beschließen. Eine wochenlange Blockade der parlamentarischen Arbeit droht. Zeit, die Griechenland nicht mehr hat.

FOCUS Online: Immerhin hat Griechenland einer breit angelegten Privatisierung von Staatseigentum zugestimmt…

Wöhrl: Geplante Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro halte ich in keinem Fall für realistisch. Neueste Zahlen gehen nur noch von 6,3 Milliarden bis 2017 aus. Diese große entstehende Lücke stellt das ganze Konstrukt des dritten Hilfsprogramms in Frage.

FOCUS Online: Was ist die Alternative? Grexit und Griechenland sich selbst zu überlassen?

Wöhrl: Am Ende dieses Kurses deutet sich nicht die Erholung Griechenlands an, sondern ein viertes Hilfsprogramm. Wir müssen Griechenland und seinen Menschen helfen, das ist meine feste Überzeugung. Wir werden die griechische Bevölkerung aber nur durch Investitionen langfristig unterstützten können. Das dritte Hilfspaket ist ein Sammelsurium an Maßnahmen zur Schuldentilgung, aber kein Pakt für die Zukunft Griechenlands und seiner Menschen.

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FOCUS-Online-Korrespondentin Martina Fietz
Dienstag, 18.08.2015

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