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Warum Dagmar Wöhrl im Iran zum Kopftuch griff. Der komplizierte Umgang mit islamischen Bekleidungsvorschriften – Nürnberger Zeitung, 29.01.2015

dagmar-woehrl-nachrichtenueberblickOb von Sympathisanten der Pegida-Bewegung oder Mitgliedern von Islamhasser-Foren: Die Iran-Reise der Nürnberger Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl (CSU) hat ihr wegen Fotos, auf denen sie mit Kopftuch zu sehen war, übelste Beschimpfungen eingebracht — obwohl sie sich völlig korrekt verhalten hat. Hier die Hintergründe zur Kopftuch-Pflicht, die auch für Ausländerinnen im Iran und offiziell auch in Saudi-Arabien gilt.

Eines vorweg: Wer in den Iran oder nach Saudi-Arabien einreisen will und weiblich ist, braucht schon für den Visa-Antrag ein Passfoto, auf dem Haar und Hals mit einem Schal oder einem Kopftuch bedeckt sind. Daran müssen sich Touristinnen halten, die das derzeit sehr angesagte Studienreiseziel Iran anfliegen. Das galt aber auch für Dagmar Wöhrl und Claudia Roth (Die Grünen), die dort eine politische Mission hatten.

Doch woher kommt die Pflicht, dass sich Frauen dort verhüllen müssen — und wie sehr wurden die Vorschriften im Lauf der Zeit aufgeweicht?

Blicken wir zunächst auf den Iran. Absurd, aber wahr: Statt einer Pflicht zum Kopftuch hatten Frauen dort Mitte des 20. Jahrhunderts das gegenteilige Problem. Reza Schah Pahlavi hatte wegen seiner extremen Modernisierungs-Politik 1936 ein Verbot für die traditionelle Ganzkörper-Verschleierung, den Tschador, erlassen. Streng religiöse Frauen trauten sich nicht mehr aus dem Haus, das erschwerte sogar die Bildung für Frauen.

Sein Sohn Mohammad Reza Pahlavi hob das Verbot wieder auf und jede Frau konnte sich kleiden, wie sie wollte — ob mit Minirock oder im Tschador. Als der Herrscher 1979 durch die Islamische Revolution gestürzt wurde und der streng islamische Ajatollah Khomeini an die Macht kam, wollte er die Pflicht zur Verschleierung sehr bald einführen. Doch so leicht gelang ihm das nicht. Obwohl die Frauen die Islamische Revolution maßgeblich mitgetragen hatten, wollten sie sich das Kopftuch nicht vom Staat vorschreiben lassen. Bei einer Rede Khomeinis gab es heftige Proteste von Frauen, und Ajatollah Taleghani verkündete, Khomeini habe nicht gemeint, dass die islamische Kleiderordnung Pflicht sei, sie aber empfohlen.

Im Zuge der Kriegswirren im Irak-Iran-Krieg und der Straßenschlachten mit militanten, oppositionellen Volksmudschaheddin trugen dann immer mehr Frauen aus Angst, als Sympathisanten der Opposition verhaftet zu werden, ein Kopftuch. So hatte es Khomeini leicht, etwa drei Jahre später das Kopftuch vorzuschreiben — mit dem Hinweis, dass im Ausnahmezustand alles getan werden müsse, um Feinde zu bekämpfen.

Als Begründung für die islamische Kleidung dienen im Iran und anderswo Stellen im Koran und Aussprüche des Propheten Mohammed (sogenannte Hadithen), die jedoch von liberalen Muslimen ganz anders ausgelegt werden als von orthodoxen. Darin ist die Rede von einem Kleidungsstück, das sich die Muslima über ihren Oberkörper legen soll, so dass sie als Gläubige erkannt und nicht belästigt wird.

Doch sowohl im schiitischen Iran als auch im sunnitisch-wahhabitischen Saudi-Arabien gilt die strenge Lesart. Auch im Iran lebende Christinnen und Jüdinnen sowie Touristinnen müssen sich dort so kleiden, wie es die Richtlinien für den nicht säkularen Staat vorsehen. Allerdings leben hier wie dort besonders viele junge Frauen, die sich nicht mehr mit dem anfreunden können, was die Generation ihrer Eltern noch guthieß.

Aus diesem Grund testen junge Frauen seit Jahren im Iran aus, wie weit man Kopftuch oder Schal über den Haaransatz zurückschieben kann, wie schrill die Farben, wie eng und kurz die Jacken sein dürfen, ohne bestraft zu werden. Und eine Journalistin im Exil sammelt Fotos von Iranerinnen, die sich ganz ohne Kopftuch zeigen und stellt die Protest-Bilder regelmäßig auf Facebook.

Doch auch in Saudi-Arabien — kein Tourismusland — hat sich einiges geändert. Das berichtete die Nürnberger Unternehmerin Ulrike Trapp, die regelmäßig auf Geschäftsreisen in Saudi-Arabien unterwegs ist, zuletzt vergangene Woche in Riad. Noch vor zehn Jahren hüllte sie sich dort aus kulturellem Respekt so gut wie immer in die traditionelle lange, schwarze Abaya und bedeckte den Kopf mit einem Schal. Inzwischen würden aber immer mehr Europäerinnen und Amerikanerinnen die strenge Kleiderordnung ignorieren, sagte sie der NZ.

Dieses Mal hätten sieben von zehn Frauen das Flugzeug ohne Schal verlassen, ohne dass sich jemand beschwert hätte. Deshalb habe sie zwar auch jetzt noch stets den Schal dabei. Aber dort, wo sie es für nicht mehr unbedingt nötig hält — etwa in Einkaufszentren — lässt auch sie ihn weg. „Oft ist ein Schal um den Kopf aber allein schon wegen des Wüstensands von Vorteil. Dann möchte ich gar nicht darauf verzichten.“

Michelle Obama verzichtete bei ihrem Staatsbesuch in Riad diese Woche auf einen Schal, ohne Ärger zu bekommen. Allerdings wurde sie von den Männern völlig ignoriert, wie auf Videos im Internet zu sehen ist.

Bei geschäftlichen Anlässen trägt Trapp den Schal oft schon als Zeichen des Respekts und entscheidet nach Gefühl, was in einer Situation angemessen ist. „Es gibt einfach bestimmte kulturelle Regeln. In Italien darf man auch nicht mit unbedeckten Schultern in die Kirchen. Und in Deutschland gehen Männer auch nicht in Bermuda-Shorts ins Büro“, sagt die Inhaberin der Wirtschaftsberatung TrappNetworks. Auch im Iran war sie 2014 auf Geschäftsreise. Der Unterschied: „Dort darf ich mich nicht ohne Schal bewegen. Aber dafür reicht eine längere Kostümjacke.“

Im Blazer bewegte sich auch Dagmar Wöhrl in Teheran. Hätte sie das Kopftuch verweigert, hätte sie keine Treffen mit Politikern bekommen, wie Sprecher Florian Kühnlein betont. So aber konnte sie sich in vielen Gesprächen für den inhaftierten Nürnberger Menschenrechtspreisträger Abdolfattah Soltani einsetzen. Lob erhielt sie dafür auch von ihrer politischen Konkurrentin Gabriela Heinrich (SPD).

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Nürnberger Zeitung
29.01.2015
Stephanie Rupp

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