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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.

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WöhrlWideWeb: Lost in the Wilderness – 
oder wie ich entdigitalisiert wurde.

ElfenbeinkuesteWenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen! Das klingt womöglich abgedroschen, ist aber so. Es sind gerade die unerwarteten und vielleicht ungewollten Situationen, die man  auf Reisen erlebt und von denen man auch noch Jahre später erzählen wird…

Meine Geschichte beginnt ungefähr so: Es war einmal eine Bundestagsabgeordnete, die in ihrer Funktion als Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in die Elfenbeinküste reiste…

Warum Elfenbeinküste?
Es gabt zwei Schwerpunkte für diesen Arbeitsbesuch: Zum einen wollten wir uns über die aktuelle politische Lage nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen in 2010 und 2011, zu denen es in Folge der Präsidentschaftswahlen und der daraus resultierenden Regierungskrise gekommen war, informieren und mit den neuen politischen Verantwortlichen vor Ort in Kontakt kommen. Ein persönliches Gespräch und der direkte Austausch können schließlich keine andere Form der Kommunikation ersetzen.

Zum anderen sollte während dieser Reise ein Schwerpunkt auf das Thema Biodiversität gelegt werden. Die Biodiversität umfasst die Vielfalt innerhalb von Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme. Das mag etwas abstrakt klingen, hat aber einen konkreten Hintergrund:  Die Elfenbeinküste ist aufgrund ihrer besonderen geographischen Lage am Atlantik und im Einfluss der Passat- und der Monsunwinde ein Land mit einer ungeheuer großen und vielfältigen Fauna und Flora. Der Süden ist ganz von Regen- und Mangrovenwäldern geprägt, während im trockenen Norden Savannen die Landschaft bestimmen. In der Mitte, im Zentrum des Landes, gehen die  Savanne, Grasland  und Regenwald ineinander über. Dort breiten  sich an den Flussläufen sogenannte Galeriewälder aus, eine mir bis zu dieser Reise noch unbekannte Waldart. Man lernt auf Reisen immer dazu!

Die Ruhe nach dem Sturm
Der erste Tag meiner Reise war geprägt von politischen Gesprächen in Abidjan. Neben einem Treffen mit dem Vertreter des Internationalen Währungsfonds wurden wir  von Parlamentspräsident Guillaume Soro und dem Außenminister der Elfenbeinküste, Daniel Kablan Duncan, empfangen. Bei den intensiven und auch inhaltlich hoch interessanten Gesprächen ging es um viele Themen: angefangen bei den umfassenden Maßnahmen, die der neue Präsident zur Wiederbelebung der Wirtschaft eingeführt hat, über  die Notwendigkeit der schulischen Bildung bis hin zum größten Problem, der noch ungeklärten Rolle und Struktur der Polizei- und Sicherheitsbehörden.

Die Einschusslöcher und die beschädigte Fassaden in Abidjan, die ich bei meinen Treffen sehen konnte, zeugen von den dramatischen Tagen der gewaltsamen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre. Inzwischen herrscht zwar angespannte Ruhe in der Hauptstadt, aber die politische Stabilität bleibt fragil. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland als politischer Partner weiterhin die Umstrukturierung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in der Elfenbeinküste begleitet. Wieviel der Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste u. a. auch in den Nationalparks des Landes, die eigens zum Schutz der einzigartigen Artenvielfalt gegründet worden sind, angerichtet hat, davon konnte ich mich am folgenden Tag überzeugen.

Into the Wild
Nachdem ich mir in der Hauptstadt einen guten Eindruck über die aktuelle politische Situation an der Elfenbeinküste machen konnte, galt der zweite Tag der Reise unserem weiteren Anliegen, dem Schutz der Artenvielfalt im Land. Unsere Reiseziel war deshalb  der Comoé Nationalpark im Landesinneren.
Der Comoé-Nationalpark ist einer von acht Nationalparks im Land und gehört  zusammen mit dem Nationalpark Taï im Südwesten zu den bekanntesten Parks. Beide Parks zählen übrigens zum Weltnaturerbe-Gebiet.

Der Bürgerkrieg der letzten Jahre hat auch dem Park mit einer Größe von 11.500 km²und den dort lebenden Wildtieren stark zugesetzt. Er ist in einem erbärmlichen Zustand und das Ökosystem  dort steht kurz vor dem Kollaps. Dass Deutschland hier effektive Hilfe leisten kann, wissen wir aus Erfahrung. Unsere Hilfe für den anderen großen Nationalpark Tai hat dazu beigetragen, dass dort die natürlichen Habitate erhalten werden konnten. Die Fortschritte deutscher Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit werden regelmäßig dahingehend kontrolliert, ob die von uns geleistete Hilfe ihren Zweck erfüllt hat und welche Erfahrungen wir daraus für künftige Projekte ziehen können. Wenn wir also die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen besser verstehen wollen, müssen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen. Der Tai ist ein erfolgreiches Projekt geworden. Umso mehr braucht jetzt der Comoé Nationalpark dringend unsere Unterstützung.

Durch den Bürgerkrieg haben Wilderer die Oberhand im Park gewonnen, da jegliche Überwachung fehlt. Die Wilderer haben großen Schaden angerichtet. Wo die Tiere früher in Ruhe leben konnten, weil sie nicht gejagt wurden, flüchten sie heute in panischer Angst, sobald sich nur irgendein Fahrzeug nähert. Spurenleser, die uns begleitet haben, haben uns bestätigt, dass der Tierbestand noch gut ist und er sich auch wieder erholen kann. Aber sie sind überaus scheu geworden. In den Naturschutzgebieten muss also  dringend wieder Ruhe einkehren. Wollen wir die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt dort erhalten, muss eine Überwachung organisiert und müssen Parkwächter ausgebildet werden. Um der Wilderei vorzubeugen, müssen wir alternative Erwerbsmöglichkeiten für die Wilderer schaffen und  die Bevölkerung sensibilisieren, kein Fleisch von Wilderern zu kaufen. Das lässt sich mit vollem Magen aber leichter sagen, als es für die Betroffenen umzusetzen ist. Im Park selbst leben keine Menschen, in den Randbereichen gibt es ein paar Dörfer, wo die Menschen noch sehr ursprünglich leben können und traditionelle Techniken das Handwerk und die Landwirtschaft bestimmen.

Der erste Schritt deutscher Entwicklungszusammenarbeit wäre der Bau kleiner Stationen für die Parkwächter, damit diese im ganzen Park ihrer Arbeit nachgehen können. Weitere Schritte müssen folgen. Welche das konkret sein könnten, das werden Gespräche mit Vertretern der GIZ ergeben. Wie nun das ganze finanziert werden soll? Deutschland und die Elfenbeinküste stehen bereits in Verhandlungen über eine Schuldenumwandlung. Hierbei könnte der Elfenbeinküste 50% der 19 Milliarden € Schulden erlassen, die das Land bei uns hat. Im Gegenzug würde sich die Elfenbeinküste verpflichten, 5% der erlassenen Summe in eine Stiftung für die Nationalparks zu stecken. In 2 bis 5 Jahren könnte sich der Comoé Nationalpark wieder erholt haben. Die positiven Ergebnisse deutscher Entwicklungszusammenarbeit zum Schutz der Artenvielfalt im Nationalpark Tai stimmen mich optimistisch, dass wir auch im Comoé Park Erfolg haben können! Das ganze Projekt ist für die globale Artenvielfalt von Bedeutung, für die arme Elfenbeinküste aber auch noch besonders wichtig vor dem Hintergrund seiner touristischen Möglichkeiten. Ein sanfter Nationalparktourismus könnte dem Land Einnahmen bringen und den dort lebenden Menschen, insbesondere am Rande der Nationalparks, den Lebensunterhalt sichern.

Nichts geht mehr
Abschließend möchte ich noch von den kleinen Erlebnissen am Rande der Reise berichten. Nach einer stundenlangen Fahrt durch den Comoé Naturschutzpark, um verschiedene Projektstationen zu besuchen, hat unser Auto schließlich mit rauchendem Motor den Geist aufgegeben. Die Aufregung wurde schnell groß, als klar wurde, dass es keine Verbindung zu irgendjemandem mehr gab…Kein Handykontakt und auch keine andere Kommunikationsmöglichkeit zur der Außenwelt, da alle angebrachten Notsysteme innerhalb des Nationalparks im Bürgerkrieg durch die Rebellen gestohlen bzw. zerstört worden waren.

Da standen wir nun also in der überwältigenden Natur und Wildnis des Comoé Nationalparks abgeschottet vom Rest der Welt und ironischer Weise aufgrund eines technischen Fehlers…Der Franke hat ein Wort für solche unerwarteten Situation, das auch universal und international einsetzbar ist: Allmächd!

Allmächd, dachte ich also. Dies könnte interessant werden und bringt unseren engen Terminkalender ganz schön durcheinander. Na toll. Was tun? Wir alle waren kommunikationslos. Das man im Nationalpark keinen Zugang zum Internet haben würde, war klar gewesen. Aber auch kein Handysignal, um kurz anzurufen? Als es dann bereits zu dämmern begann, dämmerte es auch mir langsam, dass es nach einigen Stunden des Wartens nicht mehr darum ging, die Anschlusstermine zu erreichen, sondern wesentlich essentieller darum: Wie können wir hier alle zusammen wieder herauskommen.

Entschleunigt
Da saß ich nun mit meinem Handy und Tablet Computer und konnte doch niemanden erreichen. Ich war auf einmal entdigitalisiert. Abgesehen von der Sorge, im Park übernachten zu müssen, die sich später dank eines zweiten Autos als unnötig erwies, kam noch ein weiterer, erfreulicher Effekt hinzu. Eine Entschleunigung des Politikeralltags trat ein. Zeit zum Über- und Nachdenken. Worüber?

Natürlich fragte ich mich, ob die Reise wirklich so eine gute Idee war und ob eine deutsche Abgeordnete nun unbedingt im Urwald in Afrika sitzen muss. Wäre es nicht besser, einfach in Berlin oder in meinem schönen Nürnberg zu bleiben? Die Antwort: Es wäre wohl sicherlich einfacher, aber nicht besser! Nicht umsonst habe ich mich nach der letzten Bundestagswahl bewusst entschlossen, von der Wirtschafts- in die Entwicklungspolitik zu wechseln,  und ich habe diese Entscheidung nie bereut.

Denn in der Entwicklungspolitik sind wir uns meistens parteiübergreifend über die Ziele unserer Arbeit einig. Sicherlich wird auch über den richtigen Weg dorthin gestritten, aber insgesamt geht viel weniger Energie für Parteistreitigkeiten verloren und man kann sich auf die eigentliche Arbeit konzentrieren. Zwar müssen wir auch auf aktuelle Geschehnisse und Katastrophen reagieren, aber in einem Großteil unserer Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit können wir agieren. Wir können und müssen in größeren zeitlichen und geographischen Zusammenhängen denken: Wie soll die Welt in 10, 20 oder 50 Jahren aussehen? Welche Konsequenzen hat der arabische Frühling in den nächsten Jahrzehnten für Europa und Deutschland, wenn wir die Arbeitsmarktsituation vor Ort nicht entscheidend verbessern können? Wie können wir den Problemen der entstehenden Megacities schon heute begegnen? In diesem Fall ganz konkret: Welche Konsequenzen hat die Zerstörung des Comoé Parks für Menschen und Umwelt und was können wir dagegen tun?
Weil es auf all diese Fragen noch keine befriedigenden Antworten gibt, mache ich Politik. Jeden Tag. Mit Herz, Leidenschaft und aus Überzeugung. Um die Themen aktiv mitzugestalten, genügt es dann eben nicht, im „Elfenbeinturm“ in Berlin zu bleiben.

Nun bin ich zurück und ab nächster Woche auch wieder im Elfenbeinturm. Was bleibt ist ein überwältigender Eindruck von der Naturschönheit Afrikas und die Erkenntnis, dass wir den afrikanischen Staaten dringend helfen müssen beim Schutz der Artenvielfalt, die sie für uns alle hüten.

Und so schreibe ich den ersten „offiziellen“ Blogeintrag, nachdem ich vor einigen Wochen im Internet zur Abstimmung gestellt habe, wie mein Blog künftig heißen soll. Gewonnen hat übrigens folgender Name: Wöhrl Wide Web.

Die besten Geschichten schreibt immer das Leben selbst…

Elfenbeinkueste

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2 Responses to WöhrlWideWeb: Lost in the Wilderness – 
oder wie ich entdigitalisiert wurde.

  1. carmin pelz 3. Mai 2012 at 15:11 #

    Werte Frau Wöhrl,
    ich habe Ihren Reisebericht und Ihr abschließendes Resümee als sehr realistisch und wohltuend empfunden. Ich glaube Politikerinnen Ihrer Couleur dürften es ruhig ein paar mehr sein in unserem Land um den Bürgern den Begriff Leitkultur und Vorbildfunktion näher zu bringen! Machen Sie bitte weiter so und gehen Ihren Weg.
    Mit besten Grüßen aus Oberfranken
    Carmin Pelz

  2. Jens Kleinsteuber 20. April 2012 at 12:08 #

    Dieser Blog lässt schon jetzt den Gedanken zu,dass es interessant ist,sich mit den Menschen die hinter den politischen Ämtern stehen näher zu beschäftigen.

    Dabei möchte ich Wert darauf legen,das ich politisch neutral bin aber die Arbeit von Ihnen sehr interessiert verfolge und Sie persönlich sehr schätze. Nicht nur weil uns beide die gleiche Heimat verbindet.

    Abschließend bleibt zu sagen:

    Ich bin positiv überrascht von diesem Blog und fände es begrüßenswert, über Twitter Meldungen über neue Blogeinträge informiert zu werden.

    Herzliche Grüße aus Nürnberg

    Jens Kleinsteuber